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Die Normannen

Die Normannen

Titel: Die Normannen
Autoren: C.H.Beck
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notorisch unzuverlässig seien. Dabei ist zu beachten, dass im mittelalterlichen Latein, in dem der Text abgefasst ist, oft mit Apulien nicht nur diese Region, sondern ganz Süditalien gemeint ist. Man nimmt in der Forschung an, dass sich eine Art von sizilianischem Nationalgefühl erst 1282 während des Aufstands gegen die Dynastie der Anjou, die auf die Staufer gefolgt war, bildete (sogenannte Sizilianische Vesper). Für die italienische Geschichte liegt die Bedeutung der Normannen darin, dassdurch sie die bisher nach Byzanz orientierten Regionen Süditaliens und das arabische Sizilien in den lateinisch-westlichen Kulturbereich integriert wurden, zu dem sie bis heute gehören.
    Normannische Erinnerungen Die Erinnerung an die normannischen Wurzeln verblasste, je weiter sich das Königreich Sizilien konsolidierte. Bezeichnend ist eine Episode, die sich zur Zeit des Abtes Egidius (gest. 1181) im Benediktinerkloster von Venosa (etwa 25 km südöstlich von Melfi) zugetragen haben soll. Robert Guiscard sei einem Mönch im Traum erschienen und habe sich darüber beklagt, dass man sein
cannavectus
(altfranz.
canivet
) genanntes Messer verloren habe, durch dessen Übergabe er «nach Sitte der Normannen» (
more Normannorum
) seine zahlreichen der Abtei gemachten Schenkungen symbolisch bestätigt habe. Das kleine Messer habe bis dahin unbeachtet unter einer Kiste gelegen und sei erst unter Abt Peter III. (1187–94) vom Rost gesäubert worden. In anderen Erscheinungen soll Robert Guiscard den Mönchen vorgeworfen haben, sein Grab und den Klosterbesitz zu vernachlässigen. Dass diese Geschichten einen wahren Kern haben, zeigt ein Verzeichnis der im 14. Jahrhundert in der Sakristei von Venosa aufbewahrten Gegenstände, unter denen ein Messer Robert Guiscards erwähnt wird.
    Die um 1040 von Drogo von Hauteville gegründete Abtei von Venosa war im August 1059 im Zusammenhang mit der Erhebung seines Bruders zum Herzog durch Papst Nikolaus II. geweiht und direkt dem Apostolischen Stuhl unterstellt worden. Um 1070 bestimmte Robert Guiscard sie zur Grablege seiner Familie und siedelte hier Mönche aus dem normannischen Kloster Saint-Évroult an. Diese waren ihrem Abt Robert von Grandmesnil, der sich mit dem Herzog der Normandie überworfen hatte, um 1060 in den Süden gefolgt, wo Robert Guiscard ihnen ein Kloster in Sant’Eufemia in Kalabrien zur Verfügung stellte. Eine Stiefschwester des Abtes, Judith von Évreux, die ihn nach Italien begleitete, heiratete Anfang 1062 Graf Roger I. von Sizilien. Als dieser um 1080 in seiner kalabresischen Residenz Mileto eine Abtei gründete, die er zu seiner Grablege bestimmte, siedelte er hier normannische Möncheaus Sant’Eufemia an. Sie sollten für das Seelenheil ihrer Landsleute, die sich erfolgreich in Süditalien etabliert hatten, beten und die Erinnerung an sie auch nach deren Tod lebendig halten.
    In Venosa reformierte der normannische Abt Berengar (1070–95), unter dem der Konvent von 20 auf 100 Mönche anwuchs, nicht nur die Liturgie und die Schreibschule, sondern begann mit Unterstützung Robert Guiscards auch den Bau einer neuen, von französischen Modellen beeinflussten riesigen Klosterkirche, die allerdings unvollendet blieb. Der in Saint-Évroult lebende Chronist Ordericus Vitalis, der durch Mitbrüder, die in Süditalien gewesen waren, gut informiert war, schrieb zwischen 1115 und 1141, dass noch damals («bis heute») in den drei erwähnten süditalienischen Klöstern der Chorgesang von Saint-Évroult und dessen monastische Gewohnheiten gepflegt wurden. David Hiley hat zudem nachgewiesen, dass sizilianische Musikhandschriften des 12. Jahrhunderts normannische Einflüsse zeigen. Diese könnten durch den ebenfalls aus Saint-Évroult stammenden Bretonen Ansger (gest. 1125) vermittelt worden sein: Er kam über Sant’Eufemia nach Catania, wo er Abt und Bischof wurde.
    Als Melfi unter den Nachfolgern Robert Guiscards seine Bedeutung zugunsten Salernos verlor, wurde es auch im benachbarten Venosa stiller. Das liturgische Gedenken an die normannischen Gründer und Förderer wurde jedoch weiter gepflegt, auch wenn die Mönche inzwischen nicht mehr aus der Normandie, sondern aus Süditalien stammten. Um die Mitte des 12. Jahrhunderts entstand ein für das morgendliche Gedenken der verstorbenen Mönche und Wohltäter im Kapitelssaal bestimmter Kodex; er enthält die Namen von über 1000 Personen, die im Gebetsgedenken mit der Abtei verbrüdert waren. Darunter sind zwar viele
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