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Die Normannen

Die Normannen

Titel: Die Normannen
Autoren: C.H.Beck
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Normannen, aber nur ein Abt von Saint-Évroult (Theoderich, gest. 1058) aufgeführt: Die normannischen Wurzeln der Abtei von Venosa verloren zusehends an Bedeutung. Umgekehrt wird sie als einziges italienisches Kloster im Kapitelsbuch von Saint-Évroult (12. Jahrhundert) unter den verbrüderten Konventen genannt.
    Die Treue zu den Normannen wurde der Abtei Venosa schließlich zum Verhängnis, als sie im Thronstreit von 1190 Tankred von Lecce unterstützte: Heinrich VI. unterstellte sie zur Strafe dem Abt von Montecassino. So gelangte auch das erwähnte Kapitelsbuch mit der Erinnerung an die normannische Vergangenheit auf den Berg des heiligen Benedikt, wo es noch heute (als Codex Nr. 334) aufbewahrt wird.

Epilog: Migration, Integration und Identität
    Wir Abendländer sind jetzt zu Orientalen geworden: Wer Römer oder Franzose war, ist hier zum Galiläer oder Palästinenser geworden; wer aus Reims oder Chartres stammte, wurde zum Tyrer oder Antiochener. Schon haben wir die Orte unserer Geburt vergessen; schon sind sie den meisten von uns unbekannte oder nie gehörte Namen. Schon besitzt der eine eigene Häuser und Diener wie aus väterlichem Erbrecht; andere heirateten, aber nicht nur eine Landsmännin, sondern auch eine Syrerin oder Armenierin, bisweilen auch eine getaufte Sarazenin. (…) Wer ein Fremdling war, ist jetzt gleichsam ein Eingeborener. (…) Wer mittellos war, den hat Gott hier reich gemacht. Wer wenig Geld hatte, besitzt hier zahllose Goldmünzen. Wer kein Dorf besaß, dem gehört hier durch die Gabe Gottes eine ganze Stadt. Warum also sollte ins Abendland zurückkehren, wer hier einen solchen Orient fand?
    So beschreibt Fulcher von Chartres, Kaplan König Balduins I. von Jerusalem, 1127 die Europäer, die drei Jahrzehnte zuvor mit dem 1. Kreuzzug ins Heilige Land gekommen und hier ansässig geworden waren. In seinen Augen hatten sich die Kreuzfahrer so gut in ihre orientalische Umgebung integriert, dass sie ihre kulturelle Identität, ihr Zugehörigkeitsgefühl zu ihrer Heimat im Abendland, verloren hatten. Als einen Grund für diesen raschen Wandel nennt Fulcher die Mischehen, als Anreiz für die Entscheidung, nicht mehr nach Europa zurückzukehren, materielle Vorteile. Das hier aus der Perspektive des Zeitgenossen angesprochene Phänomen des Identitätsverlustes, den die kulturelleAssimilation hervorrufen konnte, ist auch ein wichtiger Aspekt der normannischen Expansion und Migration, auf den wir im Folgenden kurz eingehen.
    Migrationen sind ein ständiges Phänomen der Menschheitsgeschichte. Die Übergangsphase von der Antike zum Mittelalter war geprägt durch die Einwanderung germanischer Völker in den Mittelmeerraum: So zogen, um nur zwei Beispiele zu nennen, unter Geiserich (gest. 477) circa 80.000 Vandalen in das römische Nordafrika, während sich, wie bereits erwähnt, im 6. Jahrhundert etwa 100.000 bis 150.000 Langobarden in Italien ansiedelten. Für dieses Phänomen hat man im Deutschen lange Zeit den Begriff der Völkerwanderung benutzt. Heute zieht man den Ausdruck Massenmigration vor, denn die Völker, von denen die mittelalterlichen Historiker sprechen, waren keine geschlossenen ethnischen Einheiten, sondern Großgruppen, die sich durch die Aufnahme anderer Gruppen kontinuierlich veränderten.
    Im Fall der normannischen Migrationen des 11. und beginnenden 12. Jahrhunderts stellt sich die Situation allerdings anders dar: In Süditalien, England und Antiochia waren die normannischen Eroberer im Vergleich zur einheimischen Bevölkerung nur eine kleine Minderheit. Und das gilt in noch stärkerem Maße für die misslungenen Versuche normannischer Herrschaftsbildungen in Anatolien und Spanien, die wir erwähnt haben. Lediglich im von der nahen Normandie aus leicht zu erreichenden England folgten den Erobern auch Siedler (vermutlich etwa 8000 bis 10.000).
    Angehörige einiger normannischer Familien emigrierten sowohl nach England als auch nach Italien und in den vorderen Orient. Aus der dem mittleren Adel zugehörenden Familie Grandmesnil aus der Gegend von Falaise (südlich von Caen) nahm Hugo, ein Bruder des erwähnten, um 1060 nach Italien geflohenen Abtes Robert von Saint-Évroult (s.S. 113), an der Eroberung Englands teil und erhielt umfangreichen Landbesitz in der Gegend von Leicester. Sein ältester Sohn Ivo verlor diesen Besitz jedoch nach einem Konflikt mit König Wilhelm II. und brach ins Heilige Land auf, wo er 1102 starb. Ivos Bruder Wilhelm(gest. 1114) emigrierte um
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