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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod
Autoren: Claudia Kern
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denen, die über uns standen, unangenehm auffiel.
    Das Quietschen von Wagenrädern und das Knallen einer Peitsche unterbrachen meine Gedanken. Ich trat auf den Weg und rückte die Kapuze meines Umhangs zurecht, sodass sie Haar und Stirn bedeckte. Auch die anderen Frauen und Mädchen tasteten nach ihren Kopfbedeckungen. Einige Mütter ergriffen die Hände ihrer Kinder und wichen zurück, als der erste Ochsenkarren ins Dorf rollte.
    Zwei Männer, verborgen unter schweren, schlammbespritzten Umhängen, gingen vor ihm her. Einer trug einen langen Stecken, von dem eine tote Krähe hing. Der andere schwankte hin und her wie ein Betrunkener. Auf dem Kutschbock saß ein dritter, ebenfalls verhüllter Mann. Hinter ihm stapelten sich Kisten und Säcke unter einer Plane aus Segeltuch. Kleinere Kisten hingen an den Seiten des Karrens. Er wirkte überladen, die Holzräder gruben sich tief in den Matsch.
    Ein zweiter Ochsenkarren folgte dem ersten. Die Menschen, die neben und vor ihm gingen, konnte ich nicht erkennen. Sie hatten ihre Umhänge geschlossen, selbst ob es sich um Männer oder Frauen handelte, blieb mir verborgen. Meine Selbstsicherheit verflog, wurde ersetzt durch eine ängstliche Unruhe, als mir klar wurde, dass es außer Knut und einigen Greisen keinen Mann im Dorf gab. Nur wenige Male in meinem Leben hatte ich den Vater, den ich nie hatte, vermisst, doch in diesem Augenblick wünschte ich mir, er würde aus der Hütte treten und sich der unheimlichen Prozession stellen.
    Die Karren rollten nacheinander durch das Dorf. Es waren insgesamt vier, alle so überladen wie der erste. Eine der Gestalten, die sie begleiteten, zog eine Flöte hervor und begann darauf zu spielen. Es war eine düstere, schwerfällig klingende Melodie, als würde ein Toter an uns vorbeigetragen. Die Gestalten bewegten sich schleppend und langsam wie Kranke oder Geister. Keiner von ihnen sagte etwas, ich hörte nur das klagende Pfeifen der Flöte und das rhythmische Klirren der Schellen, das sich nun daruntermischte. Am liebsten hätte ich mich umgedreht und wäre ins Haus gelaufen, aber mein Stolz hielt mich davon ab. Solange die anderen nicht die Türen hinter sich zuschlugen, würde auch ich meine Angst nicht zeigen, aber sobald der erste …
    »Flieht!« Knut sprang durch eine Lücke in der Brombeerhecke und verschwand hinter den Hühnerställen. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich die Frauen vor ihren Hütten. Keine von ihnen folgte ihm. Niemand tat ja, was Knut sagte. Es war wie ein ungeschriebenes Gesetz.
    Auch ich blieb stehen, obwohl mein Herz mit jedem Schritt, den die Fremden ins Dorf taten, schneller klopfte. Es war ein kleines Dorf, gerade mal ein Dutzend Häuser, und die Ochsenwagen nahmen nun fast seine gesamte Länge ein. Es fühlte sich an, als habe eine Armee, der wir nichts entgegenzusetzen hatten, uns erobert.
    Die Melodie der Flöte änderte sich. Es geschah so unauffällig, dass ich es erst bemerkte, als auch der Takt der Schellen schneller wurde und die Gaukler im Rhythmus zu nicken begannen. Ihre Kapuzen wippten dabei auf und ab.
    Und dann, mit einem Ruck, warf der, den ich für ihren Anführer hielt – der Mann mit dem seltsamen Wanderstab –, den Kopf in den Nacken und lachte. Die Kapuze rutschte ihm in den Nacken. Ich blickte in ein braun gebranntes, hageres Gesicht mit scharf geschnittenen Zügen und hohen Wangenknochen. Seine Haut war mit teils schwarzen, teils blau verblassten Linien durchzogen, Tätowierungen, die auf mich beinahe magisch wirkten.
    Aus tiefblauen Augen warf er einen Blick über die versammelten Frauen und Kinder. Auch mich sah er einen Moment lang an. Als er sprach, war es so, als würde er seine Worte nur an mich richten.
    »Hat eure Angst euch die Kehlen zugeschnürt?«, rief er. »Dachtet ihr, wir bringen den Tod?«
    Auch seine Begleiter schlugen die Kapuzen zurück. Ich blickte in die Gesichter von Männer und Frauen, von denen viele kaum älter als ich waren. Doch sie wirkten älter, so wie die Lehrlinge, die manchmal auf ihren Wanderungen durch unser Dorf kamen.
    Der Anführer der Gaukler hob seinen Stab und ließ ihn kreisen, bis die Krähe, die darin hing, zu fliegen schien.
    »Dann freut euch nun!«, rief er. »Freut euch, denn wir bringen das Leben, den Tanz und das Spiel!«
    Auf einmal hatten alle Gaukler Instrumente in der Hand, Flöten und Lauten und Trommeln. Sie begannen darauf zu spielen, fröhlich und so schnell, dass sich meine Füße ohne mein Zutun zu bewegen begannen.
    Frauen
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