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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod
Autoren: Claudia Kern
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eingelassen war.
    »Die Synagoge«, sagte Richard. Er ging plötzlich in die Knie. »Setz dich auf meine Schultern und sag mir, was du siehst.«
    Es kam mir sehr unanständig vor, aber ich tat es trotzdem. Zwei Männer neben uns schüttelten den Kopf, als Richard sich aufrichtete und mich über die Menge hob.
    Ich berichtete Richard, was ich sah. Männer mit Knüppeln standen hinter hastig errichteten Barrieren aus Tischen und umgeworfenen Karren. Es waren nicht einmal zwei Dutzend, aber sie wirkten entschlossen. Mein Blick glitt an ihnen vorbei zu einem Trupp Soldaten, die gelbe und rote Schärpen trugen und die Menge beobachteten. Ihre Schwerter steckten in den Scheiden, die Schilde lehnten an den Häuserwänden. Einer trank Wein aus einem Schlauch.
    »Die sehen nicht so aus, als ob sie einschrei…« Ich unterbrach mich, als ich die Männer sah, die neben ihnen aus einer Gasse traten. Fackelschein erhellte ihre Gesichter. »Georg ist hier.«
    »Was?«
    »Und Erasmus’ Diener.«
    Georg sprach kurz mit ihm, dann nickte er den Männern hinter sich zu. Sie alle hielten brennende Fackeln in den Händen. Die Soldaten nahmen ihre Schilde, gingen aber nicht auf sie zu, sondern traten beiseite, so als wollten sie ihnen aus dem Weg gehen.
    Und dann begann es.
    »Judenpack!« Die Männer schrien das Wort gleichzeitig und begannen im Rhythmus mit den Fackelstielen gegen die Fassaden zu klopfen. »Ju-den-pack! Ju-den-pack.«
    Georgs Blick glitt über die Menge. Mir wurde plötzlich klar, dass er mich sehen konnte. »Lass mich runter!«
    Richard beugte sich vor, und ich sprang von seinen Schultern, prallte dabei gegen einen Mann, der vor mir stand. Er sah sich unwirsch um. Meine Entschuldigung ging in dem rhythmischen Ruf unter. Immer mehr nahmen ihn auf, bis ich schließlich glaubte, es müsste in der ganzen Stadt zu hören sein.
    Eine brennende Fackel flog durch die Luft, schlug gegen die Fassade der Synagoge und fiel herab. Ich war mir sicher, dass einer von Georgs Männern sie geworfen hatte. Sie waren es, die der Menge zeigten, was sie tun sollte.
    Um uns herum wogten die Menschen nach vorn. Männer schrien, Holz splitterte, Fackeln flogen. Einige fielen in die Menge und wurden unter Geschrei wieder aufgenommen, andere prallten von der Fassade ab, doch manche durchschlugen die klirrenden Fenster und landeten im Inneren des Gebäudes.
    Rauch stieg vor uns auf.
    »Judenpack! Judenpack!« Die Rufe erstickten die Schreie und das Klirren der Waffen. An einer Ecke wurde plötzlich gejubelt, dann machte die Menge einen weiteren Satz nach vorn.
    Richard brachte seine Lippen dicht an mein Ohr, damit ich ihn verstehen konnte. »Wir sind als Nächste dran«, sagte er. »Komm.«

Kapitel 39
    »Die Synagoge?« Wilbolt starrte uns voller Entsetzen an. »Hat es Tote gegeben?«
    Die Frage war so naiv, dass niemand darauf antwortete.
    Richard und ich hatten Czyne mit in die Herrenhaus-Höhle gebeten, ohne den anderen zu sagen, was wir gesehen hatten. Es war besser, wenn sich noch nicht herumsprach, dass Georg wieder aufgetaucht war. Vielleicht hätte der eine oder andere die Gelegenheit ergriffen und die Seiten gewechselt. Das war zumindest Richards Befürchtung, und Czyne schien sie zu teilen.
    »Als Nächstes werden sie hierherkommen«, war Richard überzeugt. »Ich schlage vor, dass wir verschwinden, solange es noch geht.«
    »Aber …«, Wilbolt suchte nach Worten, »… Erasmus? Seid ihr euch dessen ganz sicher?«
    Ich nickte. »Sein Diener hat die Menge aufgehetzt.«
    »Ist doch klar, warum er das tut«, meinte Czyne. »Zuerst hetzt er den Pöbel auf die Juden, und wenn sie dann in Blutrausch verfallen sind, ist der Wunderheiler dran.« Bei diesen Worten wies sie auf Jacob. »Schließlich ist der sein ärgster Konkurrent.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich bin Richards Meinung. Wir müssen weg hier, je schneller, desto besser.«
    »Das geht nicht«, widersprach Jacob. »Wir haben mehr als zwei Dutzend Kranke dort oben in den Hütten. Die können wir nicht zurücklassen.«
    »Und ob wir das können. Wir nehmen mit, was wir tragen können und was auf die Handkarren passt.«
    Sogar Richard verzog das Gesicht, als Czyne das sagte. »Wir haben Verantwortung für …«
    Sie unterbrach ihn. » Verantwortung ist ein Wort, das ausgerechnet du nicht in den Mund nehmen solltest. Wir brechen auf, und zwar sofort«, bestimmte sie. »Wer mitkommen will, ist willkommen, wer nicht, kann machen, was er will.«
    »Und wohin brechen wir
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