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Die Noete des wahren Polizisten

Die Noete des wahren Polizisten

Titel: Die Noete des wahren Polizisten
Autoren: Roberto Bolaño
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und der Verwirrung um das Wörtchen Kunst, die vom informellen Essen mit den Italienischen Patrioten, die vom Besuch beim Zahlenmystiker, die vom Kommunikativen Striptease, die von den fünf Generationen María Expósito, die vom Toten im Dienstbotenzimmer oder vom Texaner und der Larry-Rivers-Ausstellung. Es gibt eine Verulkung der Schule von Potosí des Meisters Gabito, der Lehrer von Rosa oder, prophetisch, der frustrierten Schriftsteller vom Schlag Jean Machelards, der seine literarischen Ambitionen aufgibt, um ganz der Karriere anderer Schriftsteller zu dienen: »Das Bild, das er von sich hat, ist das eines Arztes in einer Leprastation, das eines Mönchs, der sich einer höheren Sache verschreibt.« Und von vermeintlichen Erlösern abgesehen, hat die Literatur, wie bei Bolaño seit Die Naziliteratur in Amerika üblich, eine zweideutige und definitive Präsenz, wo die Hommage gewöhnlich mit der Kritik vertauscht wird, die, weil verhüllt, doppelt boshaft und obendrein witzig ist. Es ist die Zweideutigkeit von Pablo Neruda in Chilenisches Nachtstück oder die von Octavio Paz im Parque Hundido von Mexiko Stadt in Die Wilden Detektive . Aber bestimmte Schriftsteller, hier vertreten durch die Barbarischen Literaten – die poètes maudits von heute und schon in Stern in der Ferne anzutreffen –, interessieren ihn gerade wegen ihrer Nähe zu den Dichtern der Unreinheit, einer Unreinheit, wie sie ähnlich auch Ricardo Piglia interessiert. Und unrein sind ebenso sämtliche seiner Figuren, Opfer und privilegierte Zeugen der Gewalt in all ihren Spielarten, die ihren Höhepunkt hier im Abschnitt »Sonoras Mörder« sowie auch im Gott der Homosexuellen hat, dem »Gott Rimbauds und Lautréamonts«. Unrein sind natürlich außerdem die brillant resümierten Romane von Arcimboldi, Padillas unabgeschlossener Roman oder die Briefe, die sich Amalfitano und Padilla schreiben. Man könnte das metaliterarisch nennen, besser aber intraliterarisch, da alles an der Entwicklung der Handlung teilhat.
    Der Roman Die Nöte des wahren Polizisten erscheint besonders interessant durch seine enge Beziehung zum besten Bolaño, durch dessen Erfindungsreichtum, seine Identifikation mit den Verlierern, durch seine Ethik, die keiner ethischen Prinzipien bedarf, durch die luzide Lektüre ihm nahestehender Autoren, durch seine radikale Unabhängigkeit, und weil er uns einen modernen Roman offeriert, bei dem die Lust am Erzählen nicht auf der Strecke bleibt, durch seine eiserne Treue Orten gegenüber, an denen er aufgewachsen und zum Schriftsteller gereift ist, zu einem Kosmopolitismus, der eine Seinsweise und eine Lebenshaltung zum Ausdruck bringt, zu einer glücklichen und zugleich verzweifelten Hingabe an die Kreativität abseits gesellschaftlicher Akklamation. Sein Schreiben wirkt immer ausgesprochen unverschnörkelt und geht von den dunkelsten Bezirken des Menschseins aus (Sexualität, Gewalt, Liebe, Entwurzelung, Einsamkeit, Brüche): »Alles so schlicht und so schrecklich«, weil »die wahre Poesie zwischen Abgrund und Unglück zu Hause ist«. Und es ist kein Zufall, dass er sich besonders von den Dichtern angezogen fühlt: sind sie es doch, die seiner Prosa die Fähigkeit verliehen haben, Zärtlichkeit, Unglück und Entwurzelung auszudrücken. Wie kann es sein, dass es so viel Humor inmitten so großer Verzweiflung gibt, so viel Zartgefühl inmitten von so viel Gewalttätigkeit? Und schließlich stoßen wir in jedem Buch von Bolaño, so auch in diesem, am Ende auf den besten Bolaño. Ein Autor, entsetzt über die Gewalt unseres Jahrhunderts, von den Nazis bis hin zu den Verbrechen im Norden Mexikos, der sich mit den Verlierern identifiziert und sein Werk in eine Autobiographie verwandelt, was in nicht geringem Maße die Mythifizierung seiner Person erklärt, eben weil die große Lücke, die sein Tod bedeutet, vermittels einiger Seiten, in denen 2666 kulminiert, spürbar wird, denn dort scheint er seine sämtlichen Erfahrungen als Mensch und als Schriftsteller zu entwickeln und zu verdichten. In Die Nöte des wahren Polizisten kommt es zur Wiederbegegnung mit Bolaño, wie er uns vertraut und unverzichtbar geworden ist. Es ist schlicht erschütternd, dass wir auf den Seiten dieses Buches einer so überbordenden Lebenslust begegnen, eine allerdings, die ständig vom Bewusstsein der physischen wie moralischen Erkrankung einer Epoche bedroht ist. Lebenslust und Verzweiflung sind untrennbar eins.

I   
Der Fall der Berliner
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