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Die neue Lust am Essen: Vom Laster Nikotin und Fastlife zu Lebensgenuss und Slow Food (German Edition)

Die neue Lust am Essen: Vom Laster Nikotin und Fastlife zu Lebensgenuss und Slow Food (German Edition)

Titel: Die neue Lust am Essen: Vom Laster Nikotin und Fastlife zu Lebensgenuss und Slow Food (German Edition)
Autoren: Hermine Pfrogner
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Professoren fröhlich um die Wette. Welche bahnbrechenden Thesen wir dabei diskutierten, habe ich vergessen.

Grenzenlos frei
    Wie viele Studenten meiner Generation lebte ich damals noch mit meinen Eltern zusammen in Niederösterreich, in Korneuburg, unweit von Wien. Meine Eltern unterstützten mich tatkräftig und finanzierten mir das Studium. Für meinen persönlichen Luxus musste ich selbst sorgen. Mit Konversations-und Nachhilfestunden verdiente ich glücklicherweise so viel Geld, dass ich mir nicht nur meine geliebten Zigaretten leisten konnte, sondern auch mehrmals im Jahr ein Bahnticket nach Paris. Das war mir aus zwei Gründen wichtig: Erstens, um meine Sprachkenntnisse zu verbessern, und zweitens, weil meine beste Freundin dort lebte und ich in Paris mittlerweile schon mehr Leute kannte als in Wien. Außerdem war Paris einfach „meine“ Stadt, pulsierend, modern, offen für alles, großzügig in der Anlage und im Denken und unvergleichlich lebendig. Straßencafés an jeder Ecke, Konzertsäle, zum Bersten voll mit einem jungen Publikum, die großen Chansonniers, die neuen Literaten, ein zauberhaftes Kino … Jede Reise nach Paris war ein Heimkommen, jeder Abschied mit Wehmut verbunden und dazwischen lagen stundenlange Gespräche vor überquellenden Aschenbechern und kilometerlange Fußmärsche durch die Stadt, neue Entdeckungen, neue Begegnungen – und die Zigarette war immer dabei.
    In dieser Zeit galt Rauchen in weiten Kreisen zweifellos als schick und die Werbung schuf die entsprechenden Vorbilder. Hübsche junge Frauen lächelten rauchend von allen Plakatwänden, mit einer extra langen eleganten Damenversion zwischen den schmalen, perfekt gepflegten Fingern. Auf der Kinoleinwand zündeten sich rechtschaffen müde Männer, nach getaner Arbeit und bevor sie sich für den Rest des Abends völlig entspannt ihren Familien hingaben, erst einmal eine Zigarette an, die sie sofort wieder belebte. Im Fernsehen war das Rauchen nahezu Bedingung für den Zutritt zu diversen Diskussionsrunden und Clubs, wo offenbar der Grundsatz galt: je intellektueller eine Person, desto dichter der Nebel um selbige.
    All diese Szenen wurden aber von einem Bild überstrahlt, das sich wie kein anderes in meine Netzhaut und mein Herz gegraben hat: der wunderschöne Cowboy, der männlichste aller Männer in den besten, den allerbesten Jahren, das Wundertier schlechthin, der Marlboro Man! Sein bloßer Anblick bescherte Generationen von Frauen und sicher auch so manchem Mann heftige Gefühle und romantische Träume, obwohl von vornherein klar war, dass dieser Prachtkerl nur eine Liebe kannte: die Zigarette mit dem weltberühmten schwarzen Schriftzug. Für sie allein würde er sich aufs Pferd schwingen und über die Prärie donnern bis zum nächsten Drugstore!
    Souverän und frei nahm er sich das Recht auf Genuss, und lange, sehr lange Zeit dachte ich ebenso und verbat mir jede Einmischung in mein ganz persönliches Liebesverhältnis mit dem Nikotin.

Geliebte Gewohnheit
    Noch vor dem Ende meines Studiums bekam ich völlig überraschend ein Jobangebot, das ich nicht ausschlagen konnte, obwohl ich mein freies Studentenleben eigentlich gerne noch eine Weile ausgekostet hätte.
    Keine fünf Minuten von meinem Zuhause entfernt – ich hatte mir inzwischen im Dachgeschoß meines Elternhauses eine kleine Wohnung eingerichtet – wurde ausgerechnet in dem Gebäude, in dem ich selbst einst die Volksschulbank gedrückt hatte, eine neue Schule eröffnet, eine Handelsakademie. Dort sollte ich Französisch unterrichten, vorerst nur acht Wochenstunden, ideal für den Einstieg, wie mir eine sehr entschlossen wirkende Direktorin versicherte, die nicht lange brauchte, um mich zu überzeugen, ihr Angebot anzunehmen.
    Ich kam also in ihr kleines Team junger Pioniere und wir machten uns hochmotiviert ans Werk. Anfangs fehlte es uns aber an fast allem. Es gab keine Möbel und kaum Unterrichtsmaterial, denn vieles war noch nicht geliefert worden. So wurden wir notgedrungen Meister der Improvisation, eher kumpelhafte Förderer als strenge Lehrer unserer Schüler, und die große Pause verbrachten wir täglich gemeinsam an einem Tisch im Sekretariat, besprachen unsere aktuellen Probleme, tranken Kaffee und rauchten. Die ganz wenigen Nichtraucher unter uns hatten noch keine Lobby und ließen uns protestlos gewähren.
    Immer öfter griff ich jetzt zu meinem sinnlichen Spielzeug, widmete ihm immer mehr Zeit, trug es immer bei mir und überall hin und sorgte –
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