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Die neue arabische Welt

Die neue arabische Welt

Titel: Die neue arabische Welt
Autoren: Annette Großbongardt
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Kleinasiens.
    Historiker erklären den verblüffenden Siegeszug der Araber mit einem Bündel von Ursachen, zu denen vor allem die Schwäche ihrer Gegner gehört. Denn die Reiche der Byzantiner und Sasaniden waren erschöpft von langen Kriegen, die sie gegeneinander geführt hatten. Auch unterschätzten sie die Wucht des arabischen Ansturms. An Überfälle einzelner Beduinenstämme waren sie gewöhnt, aber die neue Qualität des islamisch geeinten Angriffs begriffen sie erst, als es zu spät war: Auf einen solchen Feind waren sie nicht vorbereitet.
    Für viele Bewohner der eroberten Gebiete war die neue Herrschaft weniger drückend als die alte – und durchaus attraktiv. Denn die Araber dachten gar nicht an eine gewaltsame Bekehrung der Bevölkerung. Stattdessen hatten Nichtmuslime an die Eroberer eine Kopfsteuer zu entrichten. Im Gegenzug erwarben sie den Status von »Schutzbefohlenen«
(»Dhimmis«): Leib und Leben, Eigentum und freie Ausübung der angestammten Religion waren ihnen garantiert. So zielte die Strategie der Araber keineswegs auf Massenbekehrung der Besiegten. Die hätte nur die Finanzierungsgrundlage der arabischen Expansion untergraben. Schließlich war jeder, der zum Islam übertrat, ein Steuerzahler weniger, da Muslime keine Kopfsteuer, sondern lediglich die geringere »Sakat«-Abgabe zu entrichten hatten.
    Derweil entbrannten in Medina heftige Kämpfe um die Führung des schnell wachsenden arabisch-islamischen Imperiums. Unzufriedene ägyptische Bittsteller ermordeten im Jahr 656 den dritten Kalifen Uthman. Sein Nachfolger wurde der langjährige Kalifen-Kandidat Ali – der Cousin und Schwiegersohn des Propheten, der mit dessen Tochter Fatima verheiratet war. Unter Alis Kalifat brach ein muslimischer Bürgerkrieg aus. Uthmans Cousin Muawija aus dem Clan der Umajjaden, den der ermordete Kalif zum Statthalter in Damaskus gemacht hatte, hatte sich eine regelrechte Privatarmee aufgebaut.
    Er bezichtigte Ali, bei der Ermordung seines Cousins die Hand im Spiel gehabt zu haben – und ging als Sieger aus einem Machtkampf hervor, in dessen Verlauf auch Ali im Jahr 661 eines gewaltsamen Todes starb. Während aus der Partei (arab. »Schia«) Alis im Lauf der Zeit die islamische Minderheitsströmung der Schiiten entstand, schwang Muawija sich zum Kalifen auf, erhob Damaskus zur neuen Hauptstadt und begründete dort die Dynastie der Umajjaden, die bis 750 die größte Machtausdehnung der Araber erreichte. Das Reich erstreckte sich von Spanien und Marokko bis an den Indus im heutigen Pakistan. Auch gilt die Umajjaden-Zeit mit ihrer prächtigen monumentalen Architektur und raffinierten höfischen Dichtung als ein Höhepunkt islamischer Kultur.

    Die vier ersten Kalifen waren noch durch einen Ältestenrat (»Schura«) der muslimischen Gemeinde gewählt worden; sie versuchten, jeder auf seine Weise, Mohammeds Offenbarungen umzusetzen. Wegen dieser Nähe zum Gründer der Religion tragen sie im Islam den ehrenden Beinamen der »rechtgeleiteten Kalifen«. Und bis in die Gegenwart haben sich Reformer und demokratische Bewegungen im Islam nicht zufällig immer wieder auf das Argument gestützt, das Institut der »Schura« beweise, dass zum Wesenskern des Islam eine Art Basisdemokratie gehöre.
    Seit der umajjadischen Ära vererbte sich die Macht aber nun auch in der arabisch-islamischen Welt nach dem uralten dynastischen Prinzip. Das Kalifat wurde »ein Reich wie jedes andere«, so der afghanisch-amerikanische Autor Tamim Ansary. Der selbsternannte Kalif Muawija musste sein Legitimationsdefizit ausgleichen. Wie Bernard Lewis, der Nestor der westlichen Islamkunde, schreibt, betrieb er nun »die Umwandlung des Reiches von einer theoretischen islamischen Theokratie in eine arabische Monarchie, die sich auf die mächtigsten arabischen Stämme stützte«.
    Arabisch-islamische Expansion
    Unter der Herrschaft Muawijas drangen die Araber nach Zentralasien vor; sie nahmen Herat, Kabul und Buchara ein. Freilich fehlte die sachkundige Elite für die Administration des rasant wachsenden Imperiums. So blieben die alten Verwaltungsapparate der Perser und Byzantiner in den eroberten Gebieten intakt. Die herrschenden arabischen Muslime stellten, Schätzungen zufolge, noch um die Mitte des 8. Jahrhunderts weniger als zehn Prozent der Bevölkerung in den heutigen Gebieten von Iran und Irak, von Syrien, Ägypten, Tunesien und dem ab 711 eroberten Spanien. In Ägypten sollen bis ins 14. oder 15. Jahrhundert die christlichen Kopten
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