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Die Narben der Hoelle

Die Narben der Hoelle

Titel: Die Narben der Hoelle
Autoren: H. Dieter Neumann
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Großeltern in Izmir geblieben waren.
    »Und nun die übliche Geduldsprobe«, lachte Mehmet und wischte sich ein paar Krümel aus dem Bart. »Die neuesten Fotos der Kinder – wir erwarten begeisterte Kommentare!«
    Johannes nahm Ayse den stattlichen Stapel ab, und sein Blick fiel auf das oberste Bild.
    Wie vom Blitz getroffen, zuckte er zusammen.
    Der Anblick der türkischen Kinder mit ihren dunklen Augen versetzte ihm einen plötzlichen Schlag. Er wurde blass, kalter Schweiß trat auf seine Stirn und seine Hände begannen zu zittern. Die Fotos glitten ihm aus den Fingern und fielen auf den Tisch zwischen die Teller und Gläser.
    Ayse sah ihn erschrocken an, und Mehmet paffte wie wild an seinem Zigarillo.
    Johannes starrte angestrengt auf das Meer hinaus und sagte leise: »Es tut mir leid. Ihr glaubt sicher, ich bin verrückt geworden. Es sind die Bilder. Die Kinder auf den Bildern. Ihre Augen … « Wie in Trance stand er auf und trat an die Terrassenmauer, den Blick noch immer starr auf den fernen Horizont gerichtet.
    Ayse streckte eine Hand nach ihrem Mann aus. Der griff behutsam zu und hielt ihre schmalen Finger mit seiner Pranke fest.
    Verzweifelt schaute Johannes über das weite Panorama, ohne irgendetwas wahrzunehmen. Seine Augen wurden feucht. ,Vielleicht findest Du die Kraft, mit Deinen Freunden darüber zu reden’, hatte Karen zu ihm gesagt.. ,Dann bist Du auf dem richtigen Weg.’
    Es war so weit.
    Er drehte er sich um, sah die beiden an und sagte fast unhörbar: »Natürlich hat es nichts mit euren Kindern zu tun, wie sollte es auch. Aber ihre Gesichter, vor allem die Augen … « Er stockte, fuhr sich mit der Hand über die kalte, schweißnasse Stirn und fuhr fort: »Es war bei meinem letzten Einsatz dort unten … « Vage deutete er mit einem Kopfnicken in Richtung Südost. »Der, bei dem ich verwundet wurde. Ich habe … « Er stockte erneut.
    »Du musst uns nichts sagen, Jo«, sagte Ayse. »Das weißt du doch, oder?«
    Johannes lächelte matt. »Ich weiß, Ayse, aber ich will … und ich muss auch!« Dann straffte er sich und sagte laut und klar: »Ich habe wahrscheinlich zwei Kinder getötet.«
    Entsetzt riss Ayse ihre Hand los und schlug sie sich vor den Mund. Mehmet starrte Johannes entgeistert an. Aufgebracht fragte er: »Wahrscheinlich? Du sagst, du hast wahrscheinlich Kinder getötet. Was soll das denn heißen? So was weiß man doch!«
    »Sollte man, ja. Aber genau das ist mein Problem: Ich kann mich nicht erinnern. An die entscheidenden Minuten dieser ganzen Aktion kann ich mich nicht erinnern.«
    »Das war der Einsatz, nach dem du nach Deutschland ausgeflogen worden bist, richtig?«
    »Ja, es war in einem Dorf am Hindukusch. Die Taliban … « Er brach ab. Waren das wirklich Taliban gewesen? Unwillig schüttelte er den Kopf. »Jedenfalls waren es Aufständische, und zwar ziemlich viele. Die hatten zwei von meinen Soldaten als Geiseln genommen und Lösegeld erpressen wollen.« Nochmals ein kurzes Stocken. »Ich darf über die Hintergründe dieser Aktion nicht sprechen. Strengste Geheimhaltung – hat man mir mehr als einmal eingebläut.«
    »Also eine Sache, die nicht an die Öffentlichkeit dringen soll?«, fragte Ayse.
    »So ungefähr. Es gibt Gründe, warum die … Geschehnisse bei der Befreiungsaktion geheim sind«, antwortete Johannes, »politische Gründe natürlich … «
    »Politische Gründe, aha«, grunzte Mehmet vielsagend.
    »Ja, und man hat sich sehr bemüht, alles unter der Decke zu halten.«
    »Dann weißt du also doch, was geschehen ist? Du musst nur so tun, als könntest du dich nicht daran erinnern?«, kam es ungläubig von Ayse.
    »Nein, so ist es natürlich nicht«, geriet Johannes in die Defensive. »Ich darf nichts über die Befreiungsaktion erzählen, über ihren Ablauf, über ihre … , na, sagen wir mal über ihre besonderen Umstände. Aber das hat nichts damit zu tun, dass ich ab einem bestimmten Zeitpunkt tatsächlich keine Erinnerung an das habe, was dort geschehen ist. Ich war bewusstlos.«
    »Ab einem bestimmten Zeitpunkt?«, fragte Mehmet nach. »Darfst du darüber sprechen, wann genau das war?«
    »Vermutlich darf ich das nicht, aber das ist mir jetzt egal. Sie haben später herausgefunden, dass ein Schuss meinen Schutzhelm getroffen hat. Danach weiß ich nichts mehr. Ohne den Helm … , na ja.« Er holte tief Luft. »Aufgewacht bin ich erst eine Woche später in Deutschland im Bundeswehrkrankenhaus. Und da habe ich gemerkt, dass ich mich an die ganze Aktion
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