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Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Titel: Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
Autoren: Marco Lalli
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nahe bei Lidia saß ein übergewichtiger Amerikaner. Noch während Maximilian am Tisch stand und verlegen die verschiedenen Hände schüttelte, gelang es Scott McInerney seine halbe Lebensgeschichte zu erzählen. Er war schon während des Krieges in Italien gewesen, hatte mehrere Kurzgeschichten über seine Kriegserlebnisse veröffentlicht und wollte in diesem Sommer den großen Kriegsroman vollenden. So drückte er sich jedenfalls aus, und obwohl auch der Amerikaner, zu einer selbstverständlichen Großspurigkeit neigte, war er Maximilian auf Anhieb sympathisch, und so ging es offenbar auch den anderen; einzig der junge Giacometti hob abschätzig die Brauen. Aber vielleicht lag der wahre Grund dafür in Scotts offensichtlichem Interesse für die Schwester.
    Der Achte der Gruppe nannte nur seinen Vornamen: Matteo. Er war offenbar auch Italiener, und obwohl er so gut wie nichts von sich preisgab, prägte er sich Maximilian am besten ein. Er war groß und muskulös, hatte dunkles kurz rasiertes Haar und erinnerte, nicht zuletzt wegen des unbewegten, fast finsteren Ausdrucks seines Gesichts, an einen römischen Gladiator, an einen Kämpfer jedenfalls, und Maximilian starrte ihn an, als könne er ihm dadurch mehr entlocken, als die wenigen Worte, die langsamen Bewegungen seiner Arbeiterhände.
    Alle trugen Abendgarderobe, ohne übertrieben elegant zu erscheinen, sah man von den Damen ab, die eine detailverliebte Sorgfalt in der Auswahl ihrer Accessoires erkennen ließen. Niemand war älter als dreißig, mit Ausnahme von Arkadij vielleicht, in dessen schwarzem Haar silberne Strähnen glitzerten.
    In einer Ecke stand ein Klavier, dessen abblätternder Lack in seltsamem Widerspruch zu den verschnörkelten Aufbauten und den vergoldeten Buchstaben stand, daneben ein modernes Grammophon. Es spielte ein Klavierkonzert, das Maximilian nicht kannte.
    „Wir gönnen uns den Luxus, jeden Abend die passende Tischmusik zu spielen“, Arkadij, der ältere der russischen Brüder, war seinem Blick gefolgt. „Heute geht sie auf den Wunsch meiner Wenigkeit zurück. Rachmaninov. Dekadent, gewiss“ - er lächelte seinem Bruder zu - „und doch sehr volkstümlich, warten Sie, bis Sie seine Symphonien gehört haben! Aber nehmen Sie doch Platz, mein lieber Maximilian! Es ist Ihnen doch recht, wenn ich Sie mit Vornamen anspreche? Unser amerikanischer Freund hat diese Unsitte bei uns eingeführt, und - stellen Sie sich vor! - sie gefällt uns!“ Er zwinkerte Lidias Bruder zu. „Nicht alle haben einen Adelstitel, an den Sie sich gern erinnern lassen!“
    „Sie können mich Max nennen.“ Er wunderte sich über seine Stimme, die seltsam belegt klang, und plötzlich fühlte er sich um Jahre zurückversetzt. Er stand vor seiner neuen Klasse. Mitten im Schuljahr von einem Ende Hamburgs zum anderen gezogen, hatte er sich vorgestellt und einen freien Platz suchen müssen. Sein Blick war durch die Reihen seiner zukünftigen Klassenkameraden gewandert, spöttisch feixende Gesichter, die sich einen Spaß daraus zu machen schienen, ihn zu verunsichern. Einzig ein blasser, fast kindlich wirkender Junge, saß etwas abseits von den anderen und sah durch ihn hindurch. Zu ihm setzte er sich. An diesem Abend hatte er zwei freie Plätze zur Auswahl, und er nahm jenen zwischen Matteo und dem Amerikaner. Anders als Jahre zuvor in der Unterprima, als er sich zu Georg gesetzt hatte, sollte diese Entscheidung weniger folgenschwer sein. Es gab keine feste Tischordnung, und jeden Abend sorgten andere Tischnachbarn für Abwechslung.
    Die Gespräche wurden wieder aufgenommen, und die Aufmerksamkeit, mit der man den Neuankömmling bedacht hatte, war genauso schnell verebbt, als hätte man das Licht auf seiner Tischseite gedämpft, und tatsächlich meinte Maximilian dankbar, in ein wohltuendes Dunkel zu versinken. Man trank Aperitifs und verstummte erst wieder, als Piero in die Hände klatschte, um zu fragen, wer an diesem Tage Fisch oder Fleisch wünsche. Das war die einzige Wahl, die man hatte, sah man vom Obst ab, das nach dem Hauptgang in großzügiger Auswahl aufgetischt wurde, und so besprach man in einiger Ausführlichkeit die Vor- und Nachteile der beiden Gerichte. Maximilian entschied sich für das in Soße gekochte Zicklein.
    Doch zuerst gab es Nudeln mit Tomatensoße, den sogenannten primo, und so sollte es jeden Abend sein: spaghetti, spaghettini, didali, farfalle, fusilli, penne und wie sie alle hießen, Namen, die der Form geschuldet waren, wie ihm Laura
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