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Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Titel: Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
Autoren: Marco Lalli
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peinlich, auf diese Weise im Mittelpunkt zu stehen. Vielleicht war es nur die Erregung, die meine Gefäße geweitet hatte. »Wir wollen nicht vergessen, dass es nicht nur den Arzt und Wissenschaftler Dorint gibt. Es gibt, wie der sehr verehrte Herr Oberbürgermeister bereits ausgeführt hat, den politischen Menschen Dorint, der im Gemeinderat dieser Stadt sitzt. Es gibt den sozial engagierten Menschen Dorint, der sich in Verbänden und Organisationen mit großem persönlichen Einsatz um die Verringerung des Elends in dieser Welt verdient gemacht hat. Und, last but not least, es gibt den Familienvater Dorint, der es verstanden hat, Karriere und Familie auf das Vortrefflichste zu verbinden. Das mag altmodisch klingen, aber gerade in einer Zeit, in der Leistung oft genug zum Selbstzweck verkommt, dürfen wir uns glücklich schätzen, ein solches Vorbild zu haben, jemanden, der uns und der Jugend beweist, dass es nicht nur ein Entweder-oder, sondern auch ein Sowohl-als-auch gibt.«
    Was er sagte, klang gut, ja, auf irgend eine seltsame Weise war es genau das, was ich, wenn nicht gerade erwartet, so doch gehofft, mir in meinen kühneren Träumen ausgemalt hatte, so als träte endlich ein, worauf ich jahrelang, das ganze Leben vielleicht hingearbeitet hatte. Aber es war nicht nur die überfällige Anerkennung und Bestätigung, die mit zuteilwurde, die ich empfing wie ein heiliges Sakrament, dessen mystische Bedeutung ich nur ansatzweise verstand, es war mehr: So hätte ich selbst gesprochen oder sprechen lassen, wenn ich die Rede hätte schreiben dürfen. Es gab nichts, was ich an ihr auszusetzen gehabt hätte, keine versteckte Kritik, keine Anspielung, die einen bitteren Beigeschmack in die Süße seiner und seiner Vorredner Worte eingestreut hätte einem hinterhältigen Widerhaken gleich, der seine Wirkung nach Sekunden oder Minuten erst entfaltete und umso tiefer enttäuschte, je höher man zuvor emporgehoben worden war. Jede Nuance stimmte. Jede Gewichtung.
    »Und doch ist der Humboldt-Preis keine schlichte Anerkennung für bereits Geleistetes, so beeindruckend diese Leistung auch sein mag. Er ist mehr.« Erwin Steinbrecher hatte weitergeredet, und ich fragte mich, ob ich etwas Wesentliches verpasst hatte. Da aber sämtliche Reden im Vorspann der Festschrift erscheinen würden, hatte ich genug Gelegenheit, sie mir noch einmal in Ruhe und mit Genuss zu Gemüte zu führen. »Der nicht unerhebliche Geldanteil des Preises zeugt auch vom Vertrauen, das die Auswahlkommission in die zukünftige Arbeit des damit Ausgezeichneten setzt. So ist der Preis auch und vor allem ein Vermächtnis, weiterzumachen.« Er sah mir ernst und, wie mir schien, forschend in die Augen. »Wir alle versprechen uns, lieber Professor Dorint, sehr viel von Ihnen und Ihrer Arbeit.« Applaus, diesmal lauter und anhaltender, brandete auf. Der grauhaarige Professor ließ sie eine Weile gewähren. Dann nahm er den Schlussbogen und setzte zur Landung an. Er betonte erneut, wie sehr es ihn freue, sprach zum wiederholten Mal seine besten Wünsche aus und kam schließlich zum Bühnenrand, um mich mit einer einladenden Geste nach oben zu bitten.
    Mit klopfendem Herzen und wackligen Beinen stieg ich hinauf. Herzlich schüttelte er mir die Hand, fasste mich mit der Linken sogar am Arm. Es hätte nicht viel gefehlt und er hätte mich tatsächlich umarmt. Er murmelte einige Worte, die im wieder erstarkten Beifall untergingen, und schob mich dann unauffällig, aber bestimmt zum Rednerpult.
    Dort stand ich dann, erleichtert, dass das laute Klatschen mir eine kurze Atempause verschaffte. Ich musste eine Rede halten, eine Ansprache, mich zumindest bedanken und ein paar mehr oder minder geistreiche Worte von mir geben. Mein Mund war trocken, und jetzt wäre ich dankbar gewesen, hätte ich, wie Therèse angenommen hatte, tatsächlich ein paar Stichworte auf einem Zettel notiert.
    Ich wartete. Vornüber gebeugt umfasste ich das fest installierte Mikrophon. Fast stützte ich mich darauf. Vielleicht hätte ich eine Hand heben, ein Zeichen geben sollen, dass ich zu sprechen gedachte, hätte mein Auditorium aus der Beifallsbekundung befreien müssen, in die es sich, wenn auch freiwillig oder fast, verfangen hatte, so als sei jedes Ende notwendigerweise abrupt und somit Ausdruck mangelnder Ehrerbietung, schlicht unhöflich. Doch ich tat nichts dergleichen. Ich wartete einfach, dass wieder Ruhe einkehrte, und während ich wartete, wanderte mein Blick über die Gesichter der
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