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Die Nacht Von Lissabon

Die Nacht Von Lissabon

Titel: Die Nacht Von Lissabon
Autoren: Erich Maria Remarque
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wegglitt. Es war so deutlich, daß ich annahm, sie sei da, und rasch in den hinteren Raum lief. Das Zimmer war, wie immer, voll von Menschen, aber sie war nicht darunter.
    Einige Tage lang war das dann eine fixe Idee: daß sie
    herübergekommen sei und mich suche. Ich sah sie hundertmal um eine Ecke gehen, sie saß auf den Bänken des Luxembourg-Gartens, und wenn ich hinzukam, hob sich ein erstauntes fremdes Gesicht mir entgegen; sie kreuzte die Place de la Concorde, gerade bevor der Strom der Automobile wieder einsetzte, und diesmal war sie es wirklich - es war ihr Gang, die Art, wie sie ihre Schultern hielt, ich glaubte sogar, ihr Kleid zu erkennen, aber wenn der Verkehrspolizist endlich die Autoschlange stoppte und ich ihr nacheilen konnte, war sie verschwunden, eingeschluckt in den schwarzen Schlund der Untergrundbahn - und wenn ich dort unten auf dem Bahnsteig ankam, sah ich gerade noch die höhnischen Schlußlichter des abfahrenden Zuges in der Dunkelheit.
      Ich vertraute mich einem Bekannten an. Er hieß Löser, handelte mit Strümpfen und war früher Arzt in Breslau gewesen.
    Er riet mir, weniger allein zu sein. ›Finden Sie eine Frau‹, sagte er. Es half nichts. Sie kennen die Verhältnisse aus Not, aus Einsamkeit, aus Angst, die Flucht zu etwas Wärme, zu einer Stimme, einem Körper - das Aufwachen in einem elenden Raum in einem fremden Land, wie herabgefallen von der Erde, und dann die trostlose Dankbarkeit, einen anderen Atem neben sich zu hören - aber was ist das gegen den Zwang der Phantasie, die das Blut trinkt und einen am Morgen aufwachen läßt mit dem schalen Geschmack, daß man sich mißbraucht hat?
      Wenn ich es jetzt erzähle, ist alles unsinnig und widerspricht sich; damals war es nicht so. Aus all den Kämpfen blieb immer das eine übrig: ich mußte zurück. Ich mußte meine Frau noch einmal sehen. Es konnte sein, daß sie längst mit jemand anderem lebte. Das war gleich. Ich mußte sie sehen. Es schien mir vollkommen logisch.
      Die Nachrichten über den bevorstehenden Krieg verstärkten sich. Jeder sah, daß Hitler, der sein Versprechen, nur Sudetenland, nicht aber die ganze Tschechoslowakei zu besetzen, sofort gebrochen hatte, nun dasselbe mit Polen begann. Der Krieg mußte kommen. Die Bündnisse Frankreichs und Englands mit Polen ließen nichts anderes zu. Und es war nicht mehr eine Sache von Monaten; nur noch eine von Wochen. Auch für mich. Auch für mein Leben. Ich mußte mich entschließen. Ich tat es. Ich wollte hinüber. Was nachher kam, wußte ich nicht. Es war auch gleichgültig. Wenn der Krieg kam, war ich ohnehin verloren. Ich konnte geradesogut das Verrückte tun.

    Eine merkwürdige Heiterkeit kam in den letzten Tagen über mich. Es war Mai, und die Beete am Rond Point waren bunt mit Tulpen. Die frühen Abende hatten bereits das silbrige Licht der Impressionisten, die blauen Schatten und den hohen, hellgrünen Himmel hinter dem kalten Gaslicht der ersten Straßenlampen und den ruhelosen, roten Bändern der Leuchtschrift an den Dächern der Zeitungsgebäude, die den Krieg verkündeten für jeden, der sie lesen konnte.
    Ich fuhr zuerst in die Schweiz. Ich wollte meinen Paß
    auf einem ungefährlichen Gebiet erproben, bevor ich an ihn glaubte. Der französische Zollbeamte gab ihn mir gleichgültig zurück; das hatte ich erwartet. Eine Ausreise ist nur in Ländern mit einer Diktatur schwierig. Aber als der Schweizer Beamte kam, spürte ich, wie sich etwas in mir zusammenzog. Ich saß zwar so gelassen da, wie ich konnte, aber mir schien, als zitterten die Ränder meiner Lungen, so wie manchmal in der Windstille an einem Baum ein Blatt rasend schnell flattert.
      Der Mann sah den Paß an. Er war ein mächtiger, breitschultriger Beamter, der nach Pfeifenrauch roch. Als er im Abteil stand, verdunkelte er das Fenster, und einen Augenblick hatte ich die Beklemmung, daß er den Himmel und die Freiheit abschlösse - als wäre das Abteil bereits eine Gefängniszelle. Dann gab er mir den Paß zurück. ›Sie haben vergessen, ihn zu stempeln‹, sagte ich in der Welle der Erleichterung, ohne es zu wollen, rasch. Der Beamte lächelte. ›Ich werde ihn schon noch stempeln. Ist Ihnen das so wichtig?‹
    ›Das nicht. Es macht ihn nur zu einer Art von Souvenir.‹
      Der Mann stempelte den Paß und ging. Ich biß mir auf die Lippen. Wie nervös ich geworden war! Dann fiel mir ein, daß der Paß mit dem Stempel schon etwas echter aussah.

    In der Schweiz überlegte ich einen Tag, ob
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