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Die Nacht Von Lissabon

Die Nacht Von Lissabon

Titel: Die Nacht Von Lissabon
Autoren: Erich Maria Remarque
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deswegen gehaßt, weil es dann für ihn so gewesen wäre, als hätte ich ihm seine Frau genommen, diesmal unwiederbringlich und für immer - da er glaubte, seine eigene Erinnerung betrüge ihn und nur meine bliebe klar.
      Ich sah ihn die Straße entlanggehen, den Koffer in der Hand, eine armselige Gestalt, das Bild des ewigen Hahnreis und des ewigen großen Liebenden. Aber hatte er den Menschen, den er liebte, nicht tiefer besessen als die Galerie der stupiden Sieger? Und was besitzen wir wirklich? Wozu so viel Lärm um Dinge, die als bestes nur geliehen sind für einige Zeit; und wozu so viel Gerede darüber, ob man sie mehr oder minder besitzt, wenn das trügerische Wort »besitzen« doch nur heißt: die Luft zu umarmen?
      Ich hatte eine Paßfotografie meiner Frau bei mir; man hatte ja damals immer Fotos für Ausweise nötig. Gregorius machte sich sofort an die Arbeit. Ich wich nicht von seiner Seite. Ich traute mich nicht, die beiden Pässe aus den Augen zu lassen.
      Mittags waren sie fertig. Ich stürzte zu dem Loch, in dem wir hausten. Ruth saß am Fenster und beobachtete die Fischerkinder im Hof »Verloren?« fragte sie, als ich in der Tür stand.
      Ich hielt die Pässe hoch. »Wir fahren morgen! Wir werden andere Namen haben, jeder einen andern, und wir werden in Amerika noch einmal heiraten müssen.«
    Ich dachte kaum daran, daß ich jetzt den Paß eines Mannes trug, der vielleicht wegen Mordes gesucht wurde. Wir fuhren am nächsten Abend ab und gelangten ohne Schwierigkeiten nach Amerika. Aber die Pässe der beiden Liebenden brachten uns kein Glück: Ruth ließ sich ein halbes Jahr später von mir scheiden. Um das zu legalisieren, mußten wir vorher noch einmal heiraten. Ruth heiratete später den reichen jungen Amerikaner, der Schwarz die Garantie gegeben hatte. Er fand das alles sehr komisch und war Trauzeuge bei unserer zweiten Hochzeit. Eine Woche später wurden wir dann in Mexiko geschieden.
    Ich verbrachte den Krieg in Amerika. Sonderbarerweise
    begann ich mich für Malerei zu interessieren, die ich früher kaum beachtet hatte - als wäre das eine Erbschaft des fernen toten Ur-Schwarz. Ich dachte auch oft an den anderen, der vielleicht noch lebte, und beide vermischten sich zu einem geisterhaften Rauch, den ich manchmal um mich zu spüren glaubte, als habe er Einfluß auf mich, obschon ich doch wußte, daß es Unsinn war. Ich fand schließlich Anstellung in einer Kunsthandlung, und in meinem Zimmer hingen ein paar Drucke nach Zeichnungen von Degas, für die ich eine große Vorliebe bekam.
      Ich dachte noch oft an Helen, die ich nur tot gesehen hatte, und eine Zeitlang träumte ich sogar von ihr, als ich allein lebte. Die Briefe, die Schwarz mir gegeben hatte, hatte ich in der ersten Nacht, als das Schiff über den Ozean schlich, ins Meer geworfen, ohne sie zu lesen. Dabei hatte ich in einem einen kleinen Widerstand gespürt, wie von einem kleinen Stein. Ich hatte ihn im Dunkeln aus dem Umschlag herausgefischt und nachher gesehen, daß es ein flaches Stück Bernstein war, in dem eine sehr zierliche Mücke vor Tausenden von Jahren gefangen und versteinert worden war. Ich hatte sie behalten und später mitgenommen - die kleine Mücke in ihrem Todeskampf in dem Käfig aus goldenen Tränen, in dem sie erhalten geblieben war, während die andern ihresgleichen gefressen und erfroren und verschwunden waren.
    Nach dem Kriege ging ich nach Europa zurück. Es machte einige Schwierigkeiten, meine Identität zu etablieren - denn zur selben Zeit gab es Hunderte von Herrenmenschen in Deutschland, die die ihre zu verlieren suchten. Den Paß der beiden Schwarz schenkte ich einem Russen, der über die Grenze geflohen war - eine neue Welle von Emigranten hatte begonnen, sich zu formen. Weiß Gott, wo er inzwischen geblieben ist! Von Schwarz habe ich nie wieder etwas gehört. Ich fuhr sogar einmal nach Osnabrück und fragte nach ihm, obschon ich seinen wirklichen Namen vergessen hatte. Aber die Stadt war verwüstet, niemand wußte etwas von ihm, und niemand interessierte sich dafür. Auf dem Weg zurück zum Bahnhof glaubte ich, ihn zu erkennen. Ich lief ihm nach; aber es war ein verheirateter Postsekretär, der mir erzählte, daß er Jansen hieße und drei Kinder habe.

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