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Die Nachhut

Die Nachhut

Titel: Die Nachhut
Autoren: Hans Waal
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schaute nach, was er auf seine Hantelschwielen notiert hatte.
    »Po ... Poli... Polizei... Polizeiober ...«
    »Polizeioberrat Schiller?«
    »Nein, mit E«, sagte er: »Genau: Elber hieß der Kollege.«
    Mein Gesicht musste danach sogar bei einem Grobian wie ihm Mitleid erregt haben, denn er fühlte sich genötigt zu erklären, dass Herr Schiller nicht mehr beim BKA sei - genau wie ich, wenn er richtig informiert sei. Der Sanitäter kam mit einem Rollstuhl, aber ein Blick der alten Jagemann reichte und er trollte sich wieder. Die »gnädige Frau« wurde nun auch langsam ungeduldig.
    »Ist er schon da?«
    »Wer? Polizeioberrat Elber?«
    »Nein, mein Fritz natürlich, Sie Trottel!«
    »Tut mir leid. Da muss ich erstmal nachfragen.«
    Das Funkgerät ersparte dem Kraftsportler weitere intellektuelle Klimmzüge: Es war Kondor 1, der »alle verfügbaren Kräfte sofort ins Foyer« befahl - und tatsächlich Elbers Stimme. Sie plärrte so aufgeregt, dass die Türsteher vor Schreck gar nicht wussten, ob sie nun verfügbar waren oder nicht. Zwei Frauen, eine alt, die andere verrückt - ein Mann müsste reichen, entschied ihr Anführer und rannte mit den anderen los.
    Das Entsetzen über Elbers Beförderung lähmte bei mir immer noch jeden Muskel. Elisabeth von Jagemann aber machte dem letzten Mann an der Tür sofort die Hölle heiß, beschimpfte ihn wüst und versuchte, sich an ihm vorbeizudrängeln. Er umarmte sie so vorsichtig er konnte. Ich beneidete beide nicht, aber spürte wieder Blut in meinen Beinen. Ich musste nicht mal rennen. Der Wachmann wimmerte mir nur noch hinterher, ich solle bitte keinen Quatsch machen. Der Rest ging im Geschrei der »gnädigen Frau« unter.
    Die Ursache für Elbers Aufregung war nicht gleich auszumachen. Zwischen glänzenden Aluminiumwänden und hellem Holz schoben sich hunderte Wissenschaftler Richtung Kuppelsaal. Manche hatten noch an der Garderobe zu tun, andere waren in ihre Tagungspapiere oder gegenseitige Begrüßungen vertieft. Meine Türsteher bahnten sich orientierungslos einen Weg durch das Gedränge, ich hinterher, bis mich jemand am Ärmel zupfte.
    »Guten Tag, Frau Thorwart! Wie geht’s uns denn heute?«
    »Das geht Sie zum Glück gar nichts an!«
    Ich durfte die Muskelmänner nicht aus den Augen verlieren. Aber Dr. Worch trat mir immer wieder in den Weg mit seinem aufgesetzten Psychiaterlächeln.
    »War wohl doch ein bisschen viel in den letzten Tagen?«
    »Mag sein. Ich stelle schließlich auch nicht nur Ferndiagnosen: Schizophrener Formenkreis, nicht näher explorierbar - habe ich mir das richtig gemerkt, oder haben Sie inzwischen auch mal einen ihrer Patienten richtig untersucht?«
    Zu gern hätte ich gewusst, ob sich auch Josef Stahl indessen unter seiner zweifelhaften Obhut befand. Aber man darf Psychiater auch nicht unterschätzen. Worch sah mich an, als durchschaute er gleich noch zwei, drei Leute mit, die hinter mir standen.
    »Überlagert durch posttraumatische Wahnsymptome«, sagte er, »das haben sie vergessen. Sie zeigen übrigens ganz ähnliche Symptome, wenn ich nicht irre. Gegebenenfalls könnte ich mir da auch eine Gruppentherapie vorstellen.«
    »Sie irren sich aber!« Nun trat ich auch einen Schritt näher: »Vielleicht ist das ja eine Berufskrankheit bei Irrenärzten?«
    Leider ließ sich Worch von so einem Kalauer nicht beeindrucken. Wahrhaftiger Zorn musste es schon sein, ein richtiger Wutanfall, am besten fremdgefährdend und laut. Wahrscheinlich erwartete er genau das von mir, so charmant wie er grinste. Es war mir auch egal.
    »Nehmen Sie eigentlich Geld für ihre Diagnosen«, begann ich und schraubte meine Stimme langsam in die Höhe, »oder haben Sie nur die gleiche Berufseinstellung wie Ihr Kollege Mengele?«
    Er lächelte stur weiter. Nur die Lautstärke schien ihm nicht mehr zu passen. Ein paar Leute schauten schon. Er sah peinlich berührt zurück. Ich musste noch lauter werden:
    »Eine ichdystone Störung der Sexualpräferenz! Sind sie so blöd, Worch? Josef Stahl ist einfach nur schwul, nichts weiter.«
    Ein paar japanische Weltkriegsexperten kicherten. Vielleicht verstanden sie nicht jedes Wort, aber sie sahen eine Frau einen Mann anschreien: Es ging um Mengele und Sex. Und der Mann tauschte sein Grinsen langsam gegen einen roten Kopf. Spektakulärer konnte so ein Kongress kaum beginnen, selbst im Heimatland aller Weltkriege nicht. Doch fast gleichzeitig verloren wir unser Publikum wieder, denn nun übernahm Fritz von Jagemann die Show.
    Das
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