Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Moralisten

Titel: Die Moralisten
Autoren: Unbekannter Autor
Vom Netzwerk:
der Mann erst im Gerichtssaal war, hatte er keine Chance mehr, ihn zu erledigen.
    Sie näherten sich der Tür. Kalt lag das Stilett in Cesares Hand. Er hatte schon eine Weile nicht mehr geatmet und sog seine Lungen jetzt voll Luft, daß ihm schien, als wollten sie platzen. Er spürte schweren Druck in den Ohren.
    Einige Sekunden blieb die Gruppe vor der noch geschlossenen Tür stehen. Als der Detektiv hinter dem Zeugen etwas beiseite trat, entwich mit leisem Keuchen die Luft aus Cesares Lungen.
    Hinter ihm drängten die vielen Menschen und schoben ihn vorwärts. Jetzt. Jetzt war der Augenblick gekommen.
    Cesare spürte nicht einmal, daß seine Hand sich bewegte. Es war fast, als gehöre sie gar nicht zu ihm. Das Stilett glitt durch den Rücken ins Herz des Zeugen wie ein warmes Messer durch Butter. Cesare öffnete die Hand, und die Klinge schnappte in seinen Ärmel zurück, gezogen von der am Griff des Stiletts befestigten dünnen, leichten Sprungfeder.
    Der Zeuge stolperte ein wenig, als die zwei Polizisten sich anschickten, die Saaltür zu öffnen. Cesare begann seinen Rückweg zum Treppenschacht. Ein Blitzlicht flammte so nahe vor seinem Gesicht auf, daß er einen Moment geblendet war.
    Im Gerichtssaal wurde es still. Die Zuhörer vernahmen vom Korridor her Lärm und Stimmengewirr.
    Matteo betrachtete seine Mitangeklagten. Big Dutch spielte nervös an seiner Krawattenklammer. Allie Fargo kaute an seinen Fingernägeln, und Dandy Nick kritzelte unruhig auf dem gelben Schreibblock, der vor ihm lag. Der Lärm verstärkte sich. Big Dutch beugte sich zu Nick hinüber und raunte ihm zu: »Bin neugierig, wen sie reinbringen.«
    Dandy Nick lächelte, aber es war kein Lächeln, sondern eine Grimasse der Angst. »Das wirst du schon früh genug merken.« Matteo brachte sie mit einer Geste zum Schweigen. Er beobachtete die Saaltür.
    Zuerst erschienen im Türrahmen zwei Detektive, dann der Zeuge. Er taumelte, ein Polizist streckte den Arm aus und stützte ihn.
    Der Zeuge trat ein paar Schritte weit in den Saal, sein Gesicht schien starr vor Angst. Wieder taumelte er und sah zu den Angeklagten hinüber. Er wollte etwas sagen, brachte jedoch keinen Laut heraus. Nur ein kleines Blutgerinnsel wurde in einem Mundwinkel sichtbar. In seine Augen kam ein gequälter Ausdruck, er schwankte wieder, und dann kippte er um.
    Ein Höllenlärm erhob sich. Der Hammer des Richters war machtlos.
    »Die Türen schließen!« donnerte Captain Strang.
    Als Cesare wieder in der Tür erschien, blickte der Portier von seiner Beschäftigung auf und sagte freundlich: »Ich habe Ihre Papiere fertig, Mr. Cardinali. Wenn Sie nur noch hier unterschreiben wollen.« Er reichte ihm einen Füllhalter.
    Cesare kritzelte seinen Namen auf die Formulare und gab dem Portier den Halter zurück. »Vielen Dank«, sagte er, nahm die Blätter an sich und ging hinaus.
    Er spürte noch den beklemmenden Druck in der Brust, als er ins Tageslicht hinaustrat. Barbara winkte ihm aus dem Auto zu. Lächelnd winkte er zurück.
    »Meine Glückwünsche, Graf Cardinali«, begrüßte Barbara ihn.
    Er ging um den Wagen herum und stieg ein. »Jetzt bin ich nicht mehr Graf Cardinali, sondern heiße ganz einfach Mr. Cesare Cardinali.«
    Barbara lachte laut, als er den Motor anspringen ließ. »Ganz einfach Cesare. Klingt hübsch.«
    Er blickte sie kurz an und steuerte den Wagen in den Verkehr. »Sie wollen mich wohl verulken, wie?«
    »Nein, nein«, antwortete sie schnell. »Ich bin tatsächlich sehr stolz auf Sie.«
    Das krampfige Gefühl in seinem Leib löste sich, sobald er um die nächste Ecke bog und das Gebäude hinter sich wußte. »Seien Sie so lieb und zünden Sie eine Zigarette für mich an, ja?«
    Sie rauchte eine an und schob sie ihm zwischen die Lippen.
    Während er den Wagen in schnellem Tempo zum Flughafen lenkte, war er in Gedanken wieder auf Sizilien, in seinem Elternhaus. Vor wenigen Wochen erst war er dort gewesen, doch es kam ihm vor, als seien seitdem Jahre vergangen.
    Wie hatte Emilio Matteo seinen Onkel genannt? Einen Shylock. Er lachte im stillen. Und was hielt wohl jetzt Don Emilio von ihm?
    Der Mann, den er eben tot zurückgelassen hatte, war gewissermaßen nur der Nettobetrag seiner Schuld. Die zwei, die noch sterben mußten, wären die Zinsen und die Zinseszinsen. Für zwölf Jahre. Drei Leben für eins. Damit wäre dann doch wahrhaftig alles voll beglichen.
    Er erinnerte sich, wie es an dem Abend gewesen war, als Don Emilio seinen »Schuldschein« präsentiert
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher