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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen
Autoren: Wolf Serno
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mit dir, befeuchte das Segeltuch!«
    »Wui, wui … hui, hui, bin schon am Kreipeln.« Der Wicht turnte nach oben und entlehrte aufs Neue den Holzeimer. Dabei passierte es ihm – Zufall oder Absicht? –, dass ein Schuss Wasser nach unten spritzte und geradewegs im Nacken des Zwischenrufers landete. Der schreckte auf und machte ein verdattertes Gesicht.
    Schadenfreude ist die schönste Freude, das gilt überall auf der Welt, und Tanger mit seinen Einwohnern machte da keine Ausnahme. Die Umsitzenden lachten. Der Moment der Anspannung war verflogen.
    Der Magister sah es mit Erleichterung. In den Landen der Barbaresken war mit Allah nicht zu spaßen. So gastfreundlich man sich hier auch gab, Koran, Scharia und Sunna waren ehernes Gesetz. Genauso, wie es die Heilige Schrift in seiner Heimat Spanien war, wo die Allerkatholischste Majestät Philipp  II . auf dem Thron saß.
    »Wui, Magister, kannst weitertruschen!«
    »Nun, also, ja. Auf unserem Weg nach Santander schlossen wir uns einer Gauklertruppe an …«
    »Nicht so schnell, nicht so schnell!« Wieder war es der vorlaute Jüngling, der unterbrach. »Was für eine Gauklertruppe? Und was wolltet ihr überhaupt in San …, in dieser Stadt?«
    »Santander ist eine Hafenstadt an der nordspanischen Küste. Wir wollten dort eine Schiffspassage hinüber nach England nehmen …«
    »Nach England? Was wolltet ihr denn in England?«
    Der kleine Mann biss sich auf die Lippen. »Mein Leidensgefährte hatte die Vermutung, er könne seine Familie dort finden.«
    »Seine Familie? Aber du sagst doch die ganze Zeit, er wäre ein junger Lord, da muss er seine Abstammung doch gekannt haben?«
    »Zum damaligen Zeitpunkt kannte er sie noch nicht, mein scharfsinniger junger Freund. Er hatte als Hinweis nur das Wappen seiner Familie, wusste aber nicht, wem es zuzuordnen war und wo seine Träger ansässig waren. Mittlerweile darf als nahezu sicher gelten, dass er ein leibhaftiger englischer Lord ist …«
    »Und wie ist sein Name, ich …«
    »Pssst!« Diesmal war es der Magister, der unterbrach. »Wir wollen doch nicht alles vorwegnehmen.« Mit Sorge stellte er fest, dass die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer nachließ, was die alleinige Schuld dieses vermaledeiten Jünglings war. Ruhig Blut!, ermahnte er sich. Ich muss dafür sorgen, dass man mir nicht dauernd ins Wort fällt, und das tue ich am besten, indem ich die Spannung wieder steigere. »Höret, ich sagte, wir schlossen uns einer Gauklertruppe an, ihr Name ist übrigens
Los artistas unicos
, aber keine Sorge, ich will euch nichts über das fahrende Volk erzählen, dessen Künste ihr ja täglich auf den Plätzen eurer schönen Stadt seht, nein, ich will berichten über den Medicus, der bei den
Artistas unicos
mitfuhr. Er nannte sich Doctorus Bombastus Sanussus, und er war der größte Scharlatan, der mir je im Leben begegnet ist.«
    »Wui, wui!« Der Zwerg nickte eifrig und rollte mit den Augen.
    »Dieser so genannte Arzt quälte und betrog seine Patienten, statt sie zu heilen, er log sie an, statt ihnen die Wahrheit zu sagen, und er war geldgierig, so geldgierig, dass er im Zweifelsfall sogar von den Allerärmsten nahm. Er behauptete, aus dem Urin und seiner Farbe auf die Figur eines Menschen schließen zu können, wollte sage und schreibe daraus erkennen, ob jemand groß oder klein, dick oder dünn ist!« Der Magister schaute sich beifallheischend um.
    Einige der Zuhörer taten ihm den Gefallen und lachten ungläubig.
    »Ihr zweifelt an meinen Worten, Freunde, und doch war es so. Dieser Mann operierte Narrensteine aus den Schädeln Schwachsinniger heraus und behauptete anschließend, sie wären wieder bei Verstand. Dabei waren sie so wenig geheilt, wie sich Steine in ihren Köpfen befunden hatten. Quacksalberei! Damit nicht genug, verhökerte Bombastus Sanussus ein Gebräu, das er
Balsamum vitalis
nannte und das gegen alle Leiden dieser Welt helfen sollte. Innerlich wie äußerlich. Gegen Reißen und Grimmen ebenso wie gegen Pein und Kolik, gegen weiße und rote Scheißerei ebenso wie gegen Aussatz und schwarzes Erbrechen, gegen Krätze ebenso wie gegen Lues, jene Geißel, die aus Neu-Spanien über uns gekommen ist, und die auch
Scabies grossa, Morbus gallicus
, Lustseuche, Geschlechtspest oder Syphilis genannt wird. Gegen dieses alles sollte das
Balsamum vitalis
helfen – nur gegen eines nicht: faule Zähne. Dagegen empfahl der Beutelschneider … die Jauche vom Schwein!«
    »Die Jauche vom Schwein? Brrrrr!« Einige der
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