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Die Midlife-Boomer

Die Midlife-Boomer

Titel: Die Midlife-Boomer
Autoren: Margaret Heckel
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ein paar Straßenzüge? Wo sich die Bewohner mit kleinen Dienstleistungen aushelfen oder sich spontan zum Kino verabreden? Ohne Zwang, ohne großen Aufwand, einfach so?
    Harald Enderle könnte dem viel abgewinnen, denn er macht bereits etwas Ähnliches, wenn auch ohne Internet und in einer Wohnanlage statt einem Wohnviertel. Der Endvierziger betreut für die gemeinnützige Stiftung Liebenau eine Wohnanlage mit rund 130 Bewohnern in der Ravensburger Weinbergstraße.
    »Wir arbeiten daran, hier eine gute Nachbarschaft herzustellen«, sagt er. Zwei Drittel der insgesamt 84 Wohnungen werden an über 60-Jährige vergeben, der Rest an Jüngere, viele an Alleinerziehende.
    Bereits vor 15 Jahren hat die im Bodenseeraum sehr aktive und bekannte Stiftung Liebenau mit den Lebensräumen ein Konzept für das Wohnen in der alternden Gesellschaft entworfen. Es setzt auf die nachbarschaftliche Selbsthilfe – und unterstützt sie durch sogenannte Gemeinwesenarbeiter wie Harald Enderle, der von Anfang an dabei ist. »Wir versuchen, eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich die Bewohner selbst helfen«, sagt er.
    24 Anlagen mit 800 Wohnungen und 1400 Mietern umfasst das Lebensräume -Programm inzwischen. Wissenschaftliche Begleitstudien haben ergeben, dass die Nachbarschaftshilfe funktioniert und die Älteren in der Tat länger in ihren Wohnungen leben und vor allem erst später, wenn überhaupt, pflegebedürftig werden. Entscheidend dabei ist, dass die Bewohner aktiv bleiben und viele Sozialkontakte haben. »Jeder hat irgendwelche Fähigkeiten, die er einbringen kann«, sagt Gemeinwesenarbeiter Enderle. »Wir thematisieren das schon vom ersten Mietgespräch an.« Mit einem fünfköpfigen Bewohnerbeirat sucht er die Mieter aus und sorgt so für eine bunte Mischung von unterschiedlichen Typen und Altersstufen. In der Weinbergstraße beispielsweise reicht die Altersspanne von zwei bis 90 Jahre.
    Statt Notrufsysteme gibt es dort eine Telefonkette und die sogenannte »Rollladen-Kontrolle«. »Weil die Bewohner sich kennen, achten sie eben auch darauf, ob bei Frau X oder Herrn Y jeden Morgen auch der Rollladen hochgezogen wird«, sagt Enderle. Ist das nicht der Fall, schaut jemand nach, ob alles in Ordnung ist.
    Von alleine allerdings laufen derartige Aktivitäten nicht. Enderle und die Bewohner haben regelmäßige Treffen, um festzulegen, was sie alles vorhaben, wer was macht, und sie schreiben dann durchaus auch gemeinsam Dienstpläne für beispielsweise die Kaffeetafel. Wer dafür dann den Kuchen backt, tut das auch nicht umsonst: 1,30 Euro kostet ein Stück, der Kaffee wird mit 60 Cent berechnet. Ein kleines Detail, aber ein wichtiges: Denn so bekommen die Kuchenbäcker auch eine kleine finanzielle Anerkennung. Das Gefühl des Ausgenutztseins, das manche Ehrenamtliche nach einer Weile entwickeln, kann so erst gar nicht aufkommen.
    Die ersten Häuser der Lebensräume hat die im Ursprung bereits 1866 gegründete und eigentlich aus der Behindertenhilfe kommende Stiftung Liebenau noch selbst gebaut. Inzwischen kooperiert sie mit Wohnungsbauunternehmen. Der dritte Partner ist immer die lokale Kommune.
    Mit einem Teil des Erlöses aus dem Verkauf der Wohnungen wird an jedem Standort ein Sozialfonds eingerichtet. Aus dessen Zinserlösen wird dann der örtliche Gemeinwesenmitarbeiter bezahlt. In der Ravensburger Weinbergstraße mit ihren 84 Wohnungen sind zwei Gemeinwesenmitarbeiter im Einsatz, die sich zu zweit eine 80-Prozent-Stelle teilen. Über die Jahre hat sich herauskristallisiert, dass es für die Betreuungsintensität jeder Wohnanlage eine gute Faustregel gibt: pro Wohnung ein Prozent der Arbeitszeit. In einer Anlage mit 40 Wohnungen ist also ein Sozialarbeiter mit 40 Prozent seiner Arbeitszeit notwendig.
    Zusätzlich stellt die Stiftung noch einen Gemeinschaftsraum, der von allen genutzt werden kann. In der Weinbergstraße gibt es dort beispielsweise eine Kinderbetreuung, die wöchentliche Kaffeetafel und auf Wunsch der Bewohner auch zweimal wöchentlich ein Mittagessen, das angeliefert wird.
    »Alle Aktivitäten, die wir anbieten, kommen aus der Mitte der Bewohnerschaft«, sagt Enderle. »Wir diskutieren, was die Gruppe wünscht, und setzen das dann um.« Er sieht sich sehr bewusst als »Interessenvertreter der Gruppe«.
    Auch das ist eine spannende Erkenntnis aus der Erfahrung der Stiftung mit den Lebensräumen : Die Koordination sollte von ausgebildeten Fachkräften wie Enderle geleistet werden. Denn natürlich kommt
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