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DIE MEROWINGER: Letzte Säule des Imperiums

DIE MEROWINGER: Letzte Säule des Imperiums

Titel: DIE MEROWINGER: Letzte Säule des Imperiums
Autoren: Robert Gordian
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    »Achtung, da kommt Halleluja!«
    Der kleine Ursio stieß diesen Ruf aus. Dreißig junge Männer stürzten gleichzeitig an die Mauer und blickten zwischen den Zinnen auf die Ebene vor der Festung hinab. Dort unten auf der alten Römerstraße näherte sich ein Reitertrupp mit einer Carruca in der Mitte, die von zwei Pferden gezogen wurde.
    Alle kannten das mit einer Lederplane überdachte Gefährt. Unter dem Verdeck, das an diesem heißen Julitag vor der Sonne schützte, musste der kahlköpfige Oberpriester der Christianer sitzen.
    In letzter Zeit besuchte er Tournai wieder häufiger. An einem Altar vor der einfachen Hütte, die sie ihre Kirche nannten, hatte er oftmals den Gottesdienst der Christianer zelebriert, und dabei hatten die Franken von ihm immer wieder das seltsame, unverständliche Wort »Halleluja« gehört. So war der würdige Mann zu diesem Spottnamen gekommen. Tatsächlich hieß er Remigius und war Bischof von Reims .
    Einerseits war ja die Unterbrechung der Langeweile willkommen. Fast täglich in der besseren Jahreszeit versammelten sich die jungen Männer, die den Kern der Gefolgschaft bildeten, auf der Plattform des halbrunden Turms, an der Ecke der Wallanlage. Man sah von hier weit in das Land, und nichts, was dort unten geschah, blieb unbemerkt. Allerdings war der gleichbleibende Anblick des Flusses, der Hügel, Wälder, Wiesen und Hüttendächer auf die Dauer nicht sehr unterhaltsam, und nur von Zeit zu Zeit gab es etwas zu lachen, wenn etwa ein Fischerboot kenterte, ein Esel mit einem hochbeladenen Karren durchging oder ein Dieb auf dem Richtplatz vor dem Tor sich sträubte, aufgeknüpft zu werden.
    Auch der Himmel bot wenig Abwechslung, besonders wenn er so gleichbleibend blau wie seit Tagen war. So vergnügten sich die jungen Männer mit Würfelspiel und Biertrinken, eine Beschäftigung, die sie gelegentlich durch eine Prügelei oder Messerstecherei unterbrachen. Aber sonst war nicht allzu viel los. Man wusste auch kaum, was in der Welt geschah, was hinter dem Horizont passierte. Die Ankunft von Besuchern löste daher gewöhnlich Freude und Neugier aus.
    In diesem Fall aber war die Freude gedämpft, die Neugier nicht weniger. Alle kannten den Bischof, er war ja seit nahezu dreißig Jahren im Amt. Und fast jedes Mal, wenn er erschien, gab es Ärger.
    »Halleluja kommt sich mal wieder beschweren.«
    »Weil unser gottloses Treiben überhandnimmt.«
    »Als ob unser Treiben ihn etwas anginge.«
    Verschiedene Vermutungen wurden angestellt, worauf sich die zu erwartende Beschwerde beziehen könnte.
    »Ich glaube, es geht ihm um den goldenen Leuchter«, meinte ein hübscher Schlingel mit blauen Augen und Adlernase namens Ansoald. »Und weil wir die beiden Christianer umgelegt haben.«
    »Dabei waren die selber schuld«, fand der kleine krausköpfige Ursio. »Die sind uns ja direkt in die Lanzen gerannt.«
    »Vielleicht will er auch Schadenersatz für das Dorf, das wir neulich eingeäschert haben.«
    »Ich glaube, der will sich nur wieder mal bei uns durchfressen«, vermutete Bobo, ein wohlgenährter Bursche von beträchtlicher Körpergröße. »Immer kommen sie zu uns. Warum gehen sie nicht öfter zu denen von Cambrai?«
    »Bei denen kriegen sie Prügel dazu«, witzelte Ursio. »Die Nachspeise schmeckt ihnen nicht.«
    »Mir schmeckt nicht, dass Halleluja mich jedes Mal zu seinen Christengöttern bekehren will. Nun wird er mir wieder was vom Vater, vom Sohn und vom heiligen Geist vorquatschen.«
    »Wenn er dich taufen will, mach es wie ich. Sag ihm, deine Flöhe vertragen kein Wasser.«
    »Seht mal, da hat er noch jemanden bei sich!«, ließ sich neben Ansoald eine helle Stimme vernehmen.
    Außer den dreißig jungen Männern befand sich auch ein Mädchen auf der Plattform. Die Schöne hieß Lanthild, war sechzehn Jahre alt, trug die Haare nach Männerart, Hosen mit Wadenbändern, einen groben Kittel, derbe Schuhe und am Gürtel eine Wurfaxt, die Franziska. Die meisten der jungen Burschen hatten ihre Kittel allerdings der Hitze wegen abgelegt. So viel Freiheit durfte sich Lanthild nicht nehmen.
    Ihr Ausruf bezog sich auf einen kostbar gekleideten Reiter, der sich neben dem Wagen des Bischofs hielt.
    »Vielleicht ist das wieder ein Freier für euch«, sagte Ansoald spöttisch. »So wie der aufgeputzt ist …«
    »Dann soll er sich nur um meine Schwestern bemühen«, erwiderte sie. »Ich bin noch nicht dran, ich kann warten. Der da würde mir auch nicht gefallen«, fügte sie mit einem Lächeln für
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