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Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition)

Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition)

Titel: Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition)
Autoren: Wsewolod Petrow
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– höchste Entfaltung und höchster Triumph der Form. Vom hohen Ufer des Sosna-Flusses sah ich die Pfade, Felder und Senken, über die ich in der Nacht geirrt war.

Kommentar
    »Dem Andenken Michail Kusmins gewidmet«
    Michail Kusmin (1872–1936), einer der wichtigsten Dichter der russischen klassischen Moderne. Seine Gedichte (insbesondere die späten, expressionistisch anmutenden und vom deutschen expressionistischen Stummfilm inspirierten) hatten eine starke Wirkung auf die russische Dichtung des 20. Jahrhunderts. Über seine Rolle als ein, wenn nicht das Zentrum der »Parallelkultur« im Leningrad der 20er bis 30er Jahre siehe ausführlicher im Nachwort.
    1909 schrieb er ein Manon-Lescaut-Gedicht, das ein unvergeßliches Bild schafft:
    ... Von den ersten Worten in einer Ganoventaverne an
    Blieb sie sich treu, mal bettelarm, mal reich,
    Bis sie kraftlos auf den Sand sank,
    Fern heimatlicher Gräser, und mit einem Degen,
    Nicht mit einem Spaten begraben wurde –
    Manon Lescaut!
    Marina Zwetajewa erinnert sich in einem kleinen Memoire über Michail Kusmin, wie sie mit ihm über dieses Gedicht gesprochen hat:
    »Und ich habe mit fünfzehn Ihr ›Begraben mit dem Degen – nicht Spaten – Manon Lescaut!‹ gelesen. Nicht selber gelesen, ein anderer hat es mir aufgesagt, mein damaliger Quasi-Bräutigam, den ich dann nicht geheiratet habe, weil er ein Spaten war: und der Bart ein Schaufelbart, und überhaupt.«
    Kusmin, erschrocken:
    »Ba-art? Ein vollbärtiger Bräutigam?«
    Ich, im Bewußtsein, daß ich Schrecken einjage:
    »Ein Spatenquadrat, eine haarige Umrahmung, daraus unverschämt-ehrliche blaue Augen hervorleuchteten. Ja. Und als ich von ihm erfuhr, daß es solche gibt, die man mit dem Degen begräbt, solche, die mit dem Degen begraben – ›Mich mit dem Spaten? Nein!‹ ... Und was war das für eine wunderbare Herausforderung der alten Welt, was für eine Formel eines Jahrhunderts: ›Begraben mit dem Degen – nicht Spaten – Manon Lescaut!‹ Ist das Ganze nicht wegen dieser einen Zeile geschrieben?«
    »Wie alle Gedichte – wegen der Schlußzeile.«
    »Die zuerst kommt.«
    »Oh, Sie wissen auch das!«
    (Zitiert aus: Marina Zwetajewa: Ein Abend nicht von dieser Welt. Prosa. Aus dem Russischen übersetzt von Ilma Rakusa. Suhrkamp Verlag 1999, S. 114f.)

    Zwetajewa hat, bestimmt von Kusmins Gedicht beeindruckt, auch ein Manon-Lescaut-Gedicht verfaßt:
    ...
Chevalier des Grieux, vergeblich
    Träumen Sie von der schönen,
    Launischen, nicht sich selbst gehörenden,
    Liebeshungrigen Manon ...
    All das bedeutet, daß Manon Lescaut für die russische Literatur eine fast heimische Figur ist, daß ein russischer Leser, wenn er dem Namen Manon Lescaut begegnet, als erstes nicht unbedingt an den Roman von Prévost oder an Puccinis Oper denkt, sondern eher an ein paar russische Gedichte.
»Nicht verflogen ist der Zauber«
    Nicht verflogen ist der Zauber, / Wieder eintreten wird das Vergangene

so lauten die beiden letzten Zeilen eines berühmten Gedichtes von Wassili Andrejewitsch Schukowski (1783–1852), dem Begründer der russischen Romantik. Der gebildete Leser, der dieses Gedicht in der Schule (im vorrevolutionären Gymnasium) hatte auswendig lernen müssen, kennt natürlich nicht nur die vorletzte, sondern auch die letzte Zeile, die den gesamten Sinn des Mottos verbirgt: Hier geht es ums Wiederbeleben der vergangenen Schönheit, vergangenen Kultur, vergangenen Zeit. Die Vergangenheit wird eintreten, wie etwas Prophezeites eintritt. Solche Spiele waren sehr charakteristisch für die russische Kulturschicht: Die Menschen kannten sehr viele Gedichte auswendig, man kultivierte das regelrecht, so konnte man darauf bauen, daß der Leser die
nicht genannten
Zitatteile erkennt.
»…eine rätselhafte Ähnlichkeit mit Marie-Antoinette«
    Die Besessenheit des Ich-Erzählers von Marie-Antoinette, der geköpften Königin Frankreichs, der Vera Muschnikowa seiner Meinung nach ähnelt, wird in der Novelle noch eine Rolle spielen. In einem späteren Kapitel lesen wir:
Ich hatte seit jeher ein bestimmtes Bild von Marie-Antoinette, ich wußte nicht mehr, ob ich es mir ausgedacht oder ob ich irgendwo darüber gelesen oder es gesehen hatte: Marie-Antoinette steht mit dem Rücken zum Saal am Fenster und schaut mit maßloser Anspannung zu, wie das Volk vor ihrem Palast tobt.
    Diese Vision steht für die alte, zerstörte, von der Revolution vernichtete Welt, Kultur, Ordnung. Der Vergleich der russischen Revolution mit der
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