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Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition)

Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition)

Titel: Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition)
Autoren: Wsewolod Petrow
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glücklich, so glücklich, und dieses Glück verdanke ich Dir. Nina Aleksejewna ist so wundervoll. Ich liebe sie wahnsinnig, ich kann keinen Schritt ohne sie tun. Ich habe sie bereits ernsthaft um Verzeihung gebeten – und sie hat mir verziehen. Ich habe sie genauso unerwartet zu lieben begonnen wie Dich, ich weinte nur mehr, das waren glückliche Tränen.« Jeder Brief war unterschrieben mit »Deine, Deine, nur Deine Vera«.
    Nina Aleksejewna selbst hatte mir auch einen Brief geschrieben: »Verotschka und ich lieben einander sehr und sprechen oft von Ihnen. Wir haben einiges erlebt. Ich verstehe Vera jetzt besser, ich verstehe auch Sie besser. Vera bittet mich immer um Verzeihung, aber was ich ihr verzeihen soll, weiß ich nicht. Wir haben sogar miteinander geweint, aus unbekannten Gründen, aber aufrichtig. Diese Tränen hatten irgendwie mit Ihnen zu tun.«
XXIX.  Gegen Ende der Woche kamen keine Briefe mehr. Ich schrieb auch nicht, ich hätte einfach keinen Brief schreiben können. Ich war zerstreut, abgelenkt – unklar, wodurch – und hörte auf zu denken, sah nicht, was um mich herum war, außer nichtigen, verschwindenden Kleinigkeiten. Es war gleichsam eine Verblödung oder, besser gesagt, ein so hoher Grad an Erwartung, daß du schon nicht mehr wartest und nichts fühlst und das Verlangen bis zur Gleichgültigkeit angespannt ist.
    Eine Woche später bekam ich den Befehl, in das Dorf, wo Vera wohnte, zu fahren, und blieb gleichgültig. Ich hatte lediglich ein bißchen Angst, weil es also an diesem Tag passieren sollte. Richtige Aufregung verspürte ich erst, als ich ins Dorf hineinfuhr und das Häuschen sah, in dem Vera und Nina Aleksejewna wohnten.
    Sie waren beide zu Hause. Vera stürzte zu mir und umarmte mich so flink, daß ich sie kaum sehen konnte. Dann stürzte sie genauso schnell zu Nina Aleksejewna und umarmte sie. Ich erkannte Vera nicht wieder. Sie schien ganz anders zu sein, als die, die ich mir hatte ins Gedächtnis rufen und vorstellen wollen. Während unserer gemeinsamen Zeit in Turdej hatte ich mich so sehr an sie gewöhnt, daß ich nicht mehr wußte, wie sie aussah. Jetzt sah ich, daß Vera schön war; mehr noch – daß ihre Schönheit blendete. Etwas Neues hatte sich in ihr geöffnet oder vielleicht etwas, was ich früher nicht bemerkt hatte.
    »Verotschka, ich habe dich nicht wiedererkannt, du bist anders geworden«, sagte ich.
    »Jetzt bin ich so, wie ich wirklich bin, nicht wie im Waggon«, sagte mir Vera.
    »Du bist eine Schönheit«, sagte ich. »Mir ist, als hätte ich dich früher nicht gesehen.«
    »Das heißt, daß du dich wieder in mich verlieben wirst«, antwortete Vera.
    Eine Minute später wußte ich detailliert Bescheid über Veras Schlampereien im Spital, wie man sie dort ausschimpfte und wie Nina Aleksejewna ihr immer zu Hilfe kam.
    »Dieses Mädchen hat ein unstetes Wesen, sie eilt von jeder Schicht davon ...« sagte Nina Aleksejewna und stockte. Wahrscheinlich hatte sie sagen wollen: »... eilt davon zu einem Rendezvous.«
    Vera wurde etwas verlegen.
    »Du weißt gar nicht, wie wir einander lieben, wir sind wie Schwestern, unsere Vermieterin dachte zuerst, daß wir Schwestern wären«, sagte Vera schnell. »Sie weiß auch über dich Bescheid, wir haben ihr erzählt, daß zu uns der wunderbarste, der liebenswürdigste und mein allerliebster Mensch kommt.«
    Die Vermieterin erschien bei diesen Worten in der Tür, grinste und verschwand gleich wieder. Bald darauf ging auch Vera – sie mußte sich wenigstens kurz im Spital zeigen. Ich schlug Nina Aleksejewna einen Spaziergang vor.
    Das Dorf stand in einer ebenen Steppenlandschaft, alle Wege glichen einander, und etwas abseits gab es einen riesigen, wahrscheinlich vom ehemaligen Gutsbesitzer übriggebliebenen Garten mit hohen alten Bäumen.
    »Gehen wir dorthin!« sagte ich.
    »Lieber nicht«, antwortete Nina Aleksejewna. »Dort ist immer ein großes Gedränge, und das ist auch der Weg zum Spital, den ich schon satt habe.«
    »Wir haben sonst keinen Ort zum Spazierengehen«, sagte ich. »Die Steppe ist zur Zeit trostlos und bietet überhaupt nichts für Spaziergänge. Und gibt es etwas Besseres auf der Welt als einen Herrengarten? Der da erinnert mich aus der Ferne an Watteau, ich muß ihn mir anschauen.«
    »Es gibt da wirklich nichts zu sehen, und ich habe keine Lust, dort herumzuspazieren.«
    Schließlich überredete ich sie. Der Garten war fast menschenleer, es gab kein Gedränge; nur auf einer Allee flanierten einige
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