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Die Maetresse des Kaisers

Die Maetresse des Kaisers

Titel: Die Maetresse des Kaisers
Autoren: Susanne Stein
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Sie fühlte etwas Weiches, ein Stück Seide für einen neuen Rock. Ihre Nägel kratzten über den tönernen Wasserkrug, und plötzlich spürte sie kaltes Metall. Die Schere. Die Schere aus Eisen, die Giovanna am Abend dorthin gelegt hatte. Sie erinnerte sich, dass sie zu stumpf zum Schneiden geworden war und einer der Knechte sie deshalb geschliffen hatte. Sie reckte sich, machte ihren Arm so lang wie möglich – dann lag die Schere in ihrer Hand. Und im selben Moment, in dem der Graf von Tuszien mit Gewalt in sie eindringen wollte, rammte sie ihm das spitze Eisen in den Rücken. Nur einen Wimpernschlag später stieß der Mann über ihr ein heiseres Röcheln aus, sein Körper bäumte sich auf, und dann brach er ohne einen Laut über ihr zusammen. Seine massige Gestalt drückte sie tief in das Stroh unter den Laken.
    Bewegungslos blieb Bianca liegen und rang um jeden Atemzug. Dann versuchte sie sich aus der Umklammerung des leblosen Körpers zu winden, verfing sich aber in Enzios Mantel.
    Noch immer strömte der Regen wie ein dichter Vorhang. Das gleichmäßige Rauschen half ihr, ruhiger zu werden. Sie holte tief Luft, befahl sich, ihre Kräfte zu sammeln, und riss energisch an dem Manteltuch. Endlich spürte sie, dass sie freikam.
    Tränen strömten ihr übers Gesicht. Auf allen vieren kroch sie über den Steinboden und tastete nach einer Kerze. Sie musste Giovanna finden, musste wissen, ob die Amme noch lebte.
    »Giovanna«, flüsterte sie. »Wo bist du? Bitte, sprich mit mir.« Nichts, nur das Wispern des Regens. Dann hörte sie es – ein leises gequältes Seufzen. »Giovanna«, hauchte sie. Bianca wagte nicht, sich zu bewegen. War es möglich, dass Enzio noch lebte?
    Eine Hand berührte ihre Schulter, und ihre Panik kam zurück.
    »Sei ruhig, meine Tochter«, flüsterte eine heisere Stimme, und Bianca fühlte sich schwach vor Erleichterung. »Cara mia, du hast eiskalte Hände, du zitterst.«
    »Giovanna, der Herr möge mir vergeben, ich habe einen Menschen getötet.«
    Bianca klammerte sich an ihre Amme, und beide Frauen sanken erschöpft auf den Boden. Ihre Kraft und ihr Mut waren verbraucht. Bianca rollte sich auf den harten Steinen zusammen, umfasste mit beiden Armen ihre Knie und begann wieder zu weinen. Und Giovanna, die erkannte, dass diese Nacht ihr Leben für immer verändert hatte, strich ihr zärtlich über das Haar.

S ie driftete auf einer warmen Woge, und der Engel hüllte sie in goldenes Licht.
    »Fürchte dich nicht«, sagte der Engel und reichte ihr die Hand. »Fürchte dich nicht, denn ich bin bei dir.«
    Der Engel war prächtig gekleidet und hatte ein gütiges Gesicht. Er trug einen langen roten Mantel, und über seinem Kopf leuchtete ein heller Schein. Sie war sich sicher, dass sie ihm schon einmal begegnet war, aber sosehr sie sich auch bemühte, sie konnte sich nicht erinnern, wann und wo.
    Der Engel reichte ihr die Hand, und sie ließ es zu, dass er sie auf die Füße zog. Es fiel ihr schwer zu stehen, und doch wagte sie es nicht, sich auf den Engel zu stützen.
    »Bianca«, raunte eine Stimme. »Bianca, wach auf.«
    Hände rüttelten an ihren Schultern und klopften ihr sanft auf die Wangen.
    »Lass mich, ich kann nicht«, murmelte Bianca und sah sich verzweifelt nach dem Engel mit dem leuchtenden roten Mantel um. Aber er war fort. Sie hielt die Hände schützend vor ihr Gesicht. Immer noch spürte sie leichte Schläge, besonders die linke Seite pochte schmerzhaft.
    »Bianca, du musst aufwachen, du musst mir helfen.«
    Ein Licht blendete sie, und jemand hielt ihr einen Krug kühles Wasser an die Lippen. Ganz langsam öffnete sie die Augen und erkannte im Schein einer brennenden Kerze ein vertrautes Gesicht – Giovanna. Die Amme tupfte ihr mit einem feuchten Lappen das Blut von der Wange.
    »Dem allmächtigen Gott sei Dank«, flüsterte Bianca, »du bist noch bei mir.« Sie wollte Giovanna glücklich in die Arme schließen, doch diese zuckte vor Schmerz zusammen. »Was ist?«, fragte sie besorgt. »Bist du verletzt?«
    Giovanna griff nach der Kerze und hielt sie hoch, damit das Licht auf ihr Gesicht fiel.
    Bianca schloss entsetzt die Augen. »O mein Gott«, flüsterte sie. »Wir müssen den Medicus suchen. Sofort. Er ist hier auf der Burg. Einer der Ritter ist beim Turnier verwundet worden. Giovanna, du brauchst Hilfe. Dein Auge sieht schrecklich aus.«
    »Ich weiß. Aber ich muss allein damit zurechtkommen. Wir dürfen niemanden holen.«
    Bianca starrte ihre Amme an. Giovanna hatte
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