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Die Liebenden von Leningrad

Die Liebenden von Leningrad

Titel: Die Liebenden von Leningrad
Autoren: Paullina Simons
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Weißbrot und einen Becher mit schwarzem Kaffee reichte. »Tack«, sagte Tatiana, »tack sa mycket.« » Varsagod«, erwiderte die Frau und lehnte kopfschüttelnd das Geld ab, das Tatiana ihr hinhielt.
    Tatiana setzte sich auf eine Bank am Hafen, aß den ganzen Brotlaib und trank den Kaffee dazu. Sie starrte blicklos in die Dämmerung. Irgendwo im Osten über dem Eis lag das belagerte Leningrad. Und weit, weit östlich davon lag Lazarewo. Und dazwischen waren der Zweite Weltkrieg und Genosse Stalin. Als Tatiana alles aufgegessen hatte, ging sie so lange durch die Straßen, bis sie eine Bank fand, die geöffnet hatte und wo Tatiana etwas amerikanisches Geld umtauschen konnte. Ausgerüstet mit ein paar Kronen, kaufte sie sich noch ein Weißbrot und Käse, aber dann fand sie ein Lokal, in dem Frühstück serviert wurde - und dort gab es sogar Schinken! Sie aß drei Portionen und beschloss, dass ihr Frühstück von nun an immer nur aus Eiern und Schinken bestehen würde. Der Tag war noch lang, und Tatiana überlegte, wo sie schlafen sollte. Alexander hatte ihr erzählt, dass es in Schweden Hotels gab, die Zimmer vermieteten, ohne nach dem Pass zu fragen, wie in Polen. Damals hatte sie ihm das nicht geglaubt, aber Alexander hatte natürlich Recht gehabt. Tatiana nahm sich ein Zimmer in einem Hotel, und zu ihrem Erstaunen war der Raum nicht nur warm und hatte ein Bett, sondern es gehörte auch ein eigenes Badezimmer dazu, in dem es eine Dusche gab. Auch davon hatte Alexander erzählt. Mindestens eine Stunde stand sie unter dem dampfenden Strahl, eine schützende Hand auf die verletzte Wange gelegt. Und dann schlief Tatiana vierundzwanzig Stunden lang. Sie blieb über zwei Monate in Stockholm. Sechsundsiebzig Tage saß sie auf einer Bank am Pier und blickte über die Ostsee nach Russland, während über ihr die Möwen schrien. Sie und Alexander hatten das Frühjahr in Stockholm verbringen wollen, während sie auf ihre Ausreisepapiere warteten. Sie wollten seinen vierundzwanzigsten Geburtstag am 29. Mai in Stockholm feiern.
    Die Wärme machte die strenge Stadt weicher. Tatiana kaufte gelbe Tulpen, aß frisches Obst vom Markt und sogar Fleisch -geräucherten Schinken, Wurst und Schweinefleisch. Sie kaufte sich Eiscreme. Ihre Wunde heilte. Ihr Bauch wurde runder. Sie dachte daran, in Stockholm zu bleiben, in einem Krankenhaus zu arbeiten, ihr Kind in Schweden zu bekommen. Ihr gefielen die Tulpen und die heiße Dusche. Aber die Möwen schrien ohne Unterlass. Schließlich fuhr sie mit dem Zug nach Göteborg, von wo aus sie ohne weiteres auf einem Frachtschiff nach Harwich in England gelangte. Auch dieses Schiff war von einem schwer bewaffneten Geleitzug umgeben. Da Norwegen unter deutscher Besatzung stand, gab es häufig Zwischenfälle auf der Nordsee. Doch die Überfahrt verlief reibungslos.
    Von Harwich aus fuhr Tatiana mit dem Zug nach Liverpool. Dort verbrachte sie zwei Wochen, bis sie herausfand, dass eine Schifffahrtsgesellschaft namens White Star einmal im Monat nach New York fuhr. Aber sie benötigte ein Visum, um an Bord zu kommen. Dennoch kaufte sie sich ein Zweiter-Klasse-Ticket. Auf der Gangway wurde sie von einem Matrosen nach ihren Papieren gefragt. Tatiana zeigte ihm ihren Rotkreuzausweis, aber er sagte, sie müsse ein Visum und einen Pass haben. Als sie erwiderte, sie habe beides nicht, erklärte er lachend: »Dann kannst du auch nicht aufs Schiff, Schätzchen.« Tatiana sagte: »Nun, ich habe zwar kein Visum und keinen Pass, aber ich besitze fünfhundert Dollar, die ich Ihnen gern geben würde, wenn Sie mich durchlassen.« Sie hatte sich erkundigt und wusste inzwischen, dass fünfhundert Dollar für einen Seemann ein Jahresgehalt bedeuteten.
    Der Matrose nahm das Geld, ohne zu zögern, und brachte Tatiana zu einem kleinen Raum im Bauch des Schiffes, wo sie sich sofort in die oberste Koje legte. Alexander hatte ihr einmal erzählt, dass er in der Kaserne immer in der obersten Koje geschlafen hatte.
    Es ging Tatiana nicht besonders gut. Sie trug die größere Schwesterntracht, die man ihr in Helsinki überlassen hatte. Ihre ursprüngliche Tracht passte ihr schon lange nicht mehr, und selbst die große ließ sich kaum noch über dem Bauch zuknöpfen. Die Reise nach New York dauerte zehn Tage, in denen Tatiana ständig übel war. Sie hatte wieder angefangen, Blut zu husten, und ihr Brustkorb schmerzte unerträglich, Ende Juni kam sie in Amerika an. Mitten auf dem Atlantik war Tatiana neunzehn geworden.
    Als das
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