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Die Liebenden von Leningrad

Die Liebenden von Leningrad

Titel: Die Liebenden von Leningrad
Autoren: Paullina Simons
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wir uns die nach dem Hitler-Stalin-Pakt nicht auch angeeignet?« »Tatiana Georgiewna! Hör auf!«
    Immer wenn die Mutter Tatiana klar machen wollte, dass mit ihr nicht zu spaßen war, nannte sie ihre Tochter beim Vor- und Nachnamen.
    Tatiana tat ganz ernst. »Was gibt es denn sonst noch? Die Hälfte von Polen haben wir doch schon.«
    »Ich sagte, hör auf!«, rief Mama aus. »Genug geplappert! Steh endlich auf. Daria Georgiewna, hol deine Schwester aus dem Bett!«
    Dascha rührte sich nicht. Murrend verließ Mama das Zimmer.
    Dascha drehte sich rasch zu Tatiana um und flüsterte verschwörerisch: »Ich muss dir etwas erzählen.« »Etwas Schönes?« Tatianas Neugier war erwacht. Dascha erzählte für gewöhnlich kaum etwas von ihrem Erwachsenenleben. Tatiana setzte sich auf.
    »Etwas Großartiges!«, erwiderte Dascha. »Ich habe mich verliebt. «
    Tatiana verdrehte die Augen und ließ sich zurück aufs Bett fallen.
    Dascha warf sich auf sie. »Es ist ernst, Tania.« »Ja, ja, schon gut. Hast du ihn gestern kennen gelernt, als die Brücken schon hochgezogen waren?« Sie lächelte. »Gestern haben wir uns zum dritten Mal gesehen.« Kopfschüttelnd blickte Tatiana Dascha an, deren Freude ansteckend wirkte. »Kannst du bitte von mir runtergehen?« »Nein, kann ich nicht«, erwiderte Dascha und kitzelte sie. »Erst wenn du sagst: >Ich bin glücklich, Dascha<.« »Warum sollte ich das sagen?«, rief Tatiana lachend aus. »Ich bin gar nicht glücklich. Hör auf damit! Warum sollte ich glücklich sein? Ich bin doch nicht verliebt. Lass es sein!« Mama kam mit einem Tablett zurück ins Zimmer, auf dem sechs Tassen und ein silberner Samowar standen. »Ihr zwei hört jetzt sofort auf! Schluss!«
    »Ja, Mama«, antwortete Dascha und kitzelte Tatiana ein letztes Mal.
    »Aua!«, schrie Tatiana. »Mama, ich glaube, sie hat mir die Rippen gebrochen.«
    »Ich werde dir gleich etwas ganz anderes brechen. Ihr seid beide schon viel zu groß für solche Spielchen.« Dascha streckte Tatiana die Zunge heraus. »Wirklich, sehr erwachsen«, sagte Tatiana. »Unsere Mamuschka weiß gar nicht, dass du erst zwei bist.«
    Dascha streckte ihr abermals die Zunge heraus und Tatiana griff danach. Dascha quiekte und sie ließ wieder los.
    »Was habe ich gesagt?«, donnerte Mama.
    Dascha flüsterte Tatiana ins Ohr: »Warte erst mal, bis du ihn kennen lernst. So einen gut aussehenden Mann hast du noch nie gesehen!«
    »Du meinst, er sieht besser aus als Sergei, mit dem du mich so gequält hast? Hast du mir über den nicht auch erzählt, er sähe so gut aus?«
    »Hör auf!«, zischte Dascha und kniff Tatiana ins Bein. »Natürlich.« Tatiana grinste. »Und war das nicht erst letzte Woche?«
    »Das wirst du nie begreifen, weil du eben noch ein Kind bist.«
    Noch ein Knuff. Als Mama plötzlich losbrüllte, hielten die beiden Mädchen inne.
    Tatianas Vater, Georgi Wassiliewitsch Metanow, kam herein. Er war ein kleiner Mann in den Vierzigern, und seine schwarzen, vollen Haare zeigten einen ersten leichten Anflug von Grau. Dascha hatte die lockigen Haare von Papa geerbt. Er trat an das Bett heran und blickte auf Tatiana, die immer noch zugedeckt war. Dann sagte er: »Tania, es ist Mittag. Steh auf oder es gibt Ärger. In zwei Minuten will ich dich angezogen sehen.« »Das ist leicht«, erwiderte Tatiana, sprang aus dem Bett und zeigte ihrer Familie, dass sie immer noch Bluse und Rock von gestern trug. Dascha und Mama schüttelten zwar die Köpfe, aber Mama lächelte dabei.
    Papa blickte zum Fenster hinaus. »Was sollen wir nur mit ihr machen, Irina?«
    Nichts, dachte Tatiana, nichts, solange Papa immer wegschaut. »Ich muss endlich heiraten«, sagte Dascha, die immer noch auf dem Bett saß. »Damit ich endlich ein eigenes Zimmer habe.« »Du machst Witze«, erwiderte Tatiana und hopste auf dem Bett auf und ab. »Du wirst mit deinem Ehemann hier wohnen. Ich, du, er - wir alle werden in einem Bett schlafen, und Pascha wird zu unseren Füßen liegen. Romantisch, nicht wahr?« »Heirate nicht, Daschenka«, erwiderte ihre Mutter geistesabwesend. »Zumindest dieses Mal hat Tania Recht. Wir haben keinen Platz.«
    Ihr Vater sagte gar nichts, sondern stellte das Radio an. In dem langen, schmalen Zimmer gab es das Doppelbett von Tatiana und Dascha, ein Sofa, auf dem Papa und Mama schliefen, und ein niedriges Eisenbett für Tatianas Zwillingsbruder Pascha. Es stand am Fußende des Bettes der Mädchen und Pascha bezeichnete sich selbst immer als ihren kleinen
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