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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera
Autoren: Gabriel García Márquez
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Bibliothek stets den Geruch und die Verschwiegenheit einer Abtei. Geboren und aufgewachsen im karibischen Aberglauben, durch das Öffnen von Fenstern und Türen eine Frische einzulassen, die es in Wirklichkeit nicht gab, hatten Doktor Urbino und seine Frau in geschlossenen Räumen zunächst Herzbeklemmungen verspürt. Sie überzeugten sich jedoch schließlich von den Vorteilen der römischen Methode zur Abwehr der Hitze, die darin besteht, die Häuser vor der Bruthitze des August geschlossen zu halten, um die glühende Luft von der Straße nicht eindringen zu lassen, und dann den Nachtwinden Fenster und Türen zu öffnen. Von da an war ihr Haus das kühlste unter der wilden Sonne von La Manga, und es war beglückend, in den schattigen Schlafzimmern Siesta zu halten und sich gegen Abend in den Portikus zu setzen, um die Frachtdampfer aus New Orleans aschgrau und schwer vorbeiziehen zu sehen, sowie die Flußdampfer, die mit ihren hölzernen Schaufelrädern hellerleuchtet durch die Dämmerung fuhren und mit einem Schwall von Musik die stille Müllbrühe der Bucht reinigten. Es war auch das bestgeschützte Haus, wenn von Dezember bis März die Passatwinde aus dem Norden die gedeckten Dächer aufrüttelten und die Nacht über wie hungrige Wölfe um das Haus strichen, auf der Suche nach einem Spalt, durch den sie eindringen könnten. Niemand kam je auf den Gedanken, daß es für eine Ehe, die auf solche Fundamente gesetzt war, irgendeinen Grund geben könnte, nicht glücklich zu sein. Doktor Urbino war es jedenfalls nicht, als er an jenem Morgen kurz vor zehn heimkam, verstört nach den beiden Besuchen, die ihn nicht nur um die Pfingstmesse gebracht hatten, sondern ihn auch in seinem Alter noch, wo alles schon hinter ihm zu liegen schien, zu verändern drohten. Er hatte vor, eine morgendliche Hundesiesta zu halten, bis die Zeit zum Festmahl bei Doktor Hades Olivella kam, fand aber ein aufgeregtes Personal vor, das versuchte, den Papagei einzufangen, der, als man ihn aus dem Käfig geholt hatte, um ihm die Flügel zu stutzen, auf den höchsten Ast des Mangobaums entflogen war. Es war ein gerupfter und launischer Papagei, der nicht sprach, wenn man ihn dazu aufforderte, dafür aber bei den unverhofftesten Gelegenheiten, und dann mit so viel Klarheit und Verstand, wie sie auch bei menschlichen Wesen ungewöhnlich sind. Er war von Doktor Urbino persönlich abgerichtet worden, und das hatte ihm Privilegien eingebracht, die niemand in der Familie je gehabt hatte, nicht einmal die Kinder, als sie noch klein waren. Er war seit über zwanzig Jahren im Haus, und niemand wußte, wie lange er schon davor gelebt hatte. Jeden Nachmittag nach der Siesta setzte sich Doktor Urbino mit ihm auf die Patioterrasse, den kühlsten Ort des Hauses, und scheute in seiner pädagogischen Leidenschaft auch nicht die mühseligsten Wege, um dem Papagei Französisch beizubringen, bis der wie ein Akademiemitglied sprach. Danach brachte er ihm, da er nun schon mal dabei war, die Messe auf lateinisch bei und einige ausgewählte Stücke aus dem Matthäusevangelium, vergeblich versuchte er dann, ihm eine mechanische Kenntnis der vier arithmetischen Operationen einzutrichtern. Von einer seiner letzten Europareisen hatte er den ersten Phonographen mit Schallmuschel mitgebracht, etliche Modeplatten und einige mit der Musik seiner klassischen Lieblingskomponisten. Tag für Tag, wieder und wieder, ließ er den Papagei mehrere Monate lang die Lieder von Yvette Gilbert und Aristide Bruant, die das Frankreich des vergangenen Jahrhunderts entzückt hatten, hören, bis der sie auswendig kannte. Er sang sie mit Frauenstimme, wenn es ihre Passagen waren, und im Tenor, wenn es seine waren, und endete mit einem wüsten Gelächter, das meisterhaft das der Dienstmädchen wiedergab, wenn sie ihn französisch singen hörten. Der Ruhm seiner Künste reichte so weit, daß manchmal distinguierte Reisende, die mit den Flußdampfern aus dem Landesinnern kamen, darum baten, ihn sehen zu dürfen. Bei einer Gelegenheit hatten einige von den vielen englischen Touristen, die zu jener Zeit auf den Bananenschiffen von New Orleans reisten, ihn für jeden Preis kaufen wollen. Der Tag seines größten Ruhms war jedoch, als der Präsident der Republik, Don Marco Fidel Suárez, mit allen Ministern seines Kabinetts ins Haus kam, um sich persönlich davon zu überzeugen, daß dieser Ruhm begründet war. Sie kamen etwa um drei Uhr nachmittags an, fast erstickt unter den Zylinderhüten und den
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