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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle
Autoren: John le Carré
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bringt es fertig, ein totes jüdisches Kind als Vorwand zu benutzen, um eine Antrittsrede zu halten. Der Schlesier redete über den Koffer. Billig und hässlich, die Art, wie vor allem Un-Personen wie Gastarbeiter und Türken sie bevorzugten. Und Sozialisten, hätte er hinzufügen können. Wer sich dafür interessiere, könne das in den Unterlagen nachlesen oder sich die übrig gebliebenen Teile des Stahlrahmens auf dem Tisch ansehen. Man konnte aber auch zu dem Schluss kommen - einem Schluss, zu dem Alexis schon vor langer Zeit gekommen war-, dass sowohl Bombe als auch Koffer eine Sackgasse darstellten. Nur konnten sie sich der Rede des Schlesiers nicht entziehen, denn es war nun mal der große Tag des Schlesiers, und sein Vortrag war seine Siegerurkunde über den entthronten Gegner, Alexis, der sich immer für persönliche Freiheit eingesetzt hatte. Vom Koffer selbst ging er zum Inhalt über. Der Sprengsatz sei mit zwei Arten von Füllmaterial in der richtigen Lage gehalten worden, Gentlemen, sagte er. Bei Füllung Nr.1 habe es sich um alte Zeitungen gehandelt; die Untersuchungen hätten ergeben, dass es sich um Bonner Ausgaben der Springerpresse aus den letzten sechs Monaten gehandelt habe - wie passend, dachte Alexis. Bei Füllung Nr.2 um eine zerschnittene ausrangierte Wolldecke der US Army, ähnlich jener, wie sie jetzt von meinem Kollegen, Mr. Soundso, vom staatlichen Untersuchungslabor hochgehalten wird. Während der verschüchterte Assistent eine große graue Wolldecke zur Ansicht in die Höhe hielt, ratterte der Schlesier stolz seine anderen brillanten Schlussfolgerungen herunter. Alexis hörte der Aufzählung dessen, was er bereits wusste, gelangweilt zu: das verbogene Ende des Zünders…winzig kleine Partikel nicht detonierten Sprengstoffs, erwiesenermaßen russisches Standard-Plastik, den Amerikanern unter der Bezeichnung C4 bekannt, den Briten unter der Bezeichnung PE und den Israelis unter der, die sie nun einmal hatten…die Aufzugswelle einer billigen Armbanduhr…die verkohlte, aber immer noch als solche erkennbare Feder einer Wäscheklammer. Mit einem Wort, dachte Alexis, klassischer Aufbau, geradewegs aus der Bombenschule. Keinerlei kompromittierendes Material, nichts, was auf irgendwelche Eitelkeit hätte schließen lassen, keinerlei Schnickschnack, der über eine in den Innenwinkel des Deckels eingebaute kinderleichte Zündung hinausgegangen wäre. Höchstens dass die Dinger, die die Kinderchen heutzutage zusammenbastelten, einen geradezu sehnsüchtig an die guten altmodischen Terroristen der siebziger Jahre zurückdenken ließen, dachte Alexis.
    Der Schlesier schien das gleichfalls zu denken, doch machte er einen schrecklichen Witz darüber: »Wir nennen so was eine Bikini-Bombe«, verkündete er stolz. »Nur das absolute Minimum. Keine Extras!«
    »Und keine Verhaftungen«, rief Alexis bedenkenlos und wurde dafür mit einem bewundernden und merkwürdig wissenden Blick von Schulmann belohnt.
    Seinen Assistenten brüsk übergehend, griff der Schlesier jetzt mit einem Arm in den Koffer und zog triumphierend ein Stück Weichholz heraus, auf dem die Nachbildung montiert worden war, so etwas wie der Stromkreis eines Modell-Rennautos aus mit Isolierstoff überzogenem Draht, der in zehn Stäben aus grauem Kunststoff endete. Während die Uneingeweihten sich darum scharten, um das Ding genauer in Augenschein zu nehmen, bemerkte Alexis überrascht, dass Schulmann, die Hände in den Taschen, seinen Platz verließ und zu ihnen hinüber schlenderte. Aber wozu? fragte sich Alexis im Geiste, den Blick schamlos auf ihn geheftet. Warum plötzlich so gemächlich, nachdem du doch gestern kaum Zeit gehabt hast, einen Blick auf deine verbeulte Uhr zu werfen? Alexis ließ alle Bemühungen, gleichgültig zu erscheinen, fahren und stellte sich rasch neben ihn. So bastelt man eine Bombe, erklärte der Schlesier, wenn man nach der üblichen Schablone gemacht ist und Juden in die Luft jagen will. Man kauft sich eine billige Uhr wie diese hier; man sollte sie ja nicht stehlen, sie vielmehr in einem großen Kaufhaus kaufen, möglichst zur Hauptgeschäftszeit, und außerdem noch ein paar andere Dinge erstehen, um das Erinnerungsvermögen des Verkäufers zu verwirren. Den Stundenzeiger entferne man. Dann bohre man ein Loch in das Glas, stecke eine Heftzwecke hinein, verbinde den Stromkreis mit Hilfe eines guten Klebstoffs mit dem Kopf der Heftzwecke. Dann die Batterie. Daraufhin den verbliebenen Zeiger so nahe oder so weit
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