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Die letzte Lagune

Die letzte Lagune

Titel: Die letzte Lagune
Autoren: Nicolas Remin
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sind, wird sich niemand für
Lodrons Methoden interessieren.» Seine Züge
verhärteten sich. «Entscheidend ist, dass er Erfolg
hat.»
    «Um jeden
Preis?»
    Wieder verdrehte der
Kaiser die Augen auf eine Art und Weise, die Elisabeth nicht
gefiel.
    «Um jeden
Preis», sagte Franz Joseph.

3
    Als er das Stemmeisen
vorsichtig zur Seite drückte, stellte sich heraus, was er
befürchtet hatte. Der Frost hatte die Feuchtigkeit zwischen
Rahmen und Fenster zu Eis erstarren lassen, und der
Fensterflügel bewegte sich keinen Millimeter. Unter normalen
Umständen wäre es kein Problem für ihn gewesen, ein
altes Holzfenster zu öffnen. Aber weder die Umstände noch
die Art seines Auftrages konnte man als normal
bezeichnen.
    Er trug enganliegende
schwarze Kleidung, eine schwarze Halbmaske, dazu absatzlose Schuhe,
denn es würde notwendig sein, sich geräuschlos zu
bewegen. Die Blendlaterne, die lederne Tasche und das wenige
Werkzeug, das er benötigen würde, hatte er an seinem
Gürtel befestigt. Er hatte das Gebäude nie betreten, aber
er kannte die Lage jedes Raumes, jedes Korridors. Er wusste, wo
sich die Treppenhäuser befanden und wer in welchen Räumen
schlief. Auf eine Waffe hatte er verzichtet. Nicht, dass er Skrupel
gehabt hätte zu töten. Aber sein Auftrag schloss
Gewaltanwendung ausdrücklich aus.
    Er holte tief Luft und
zwang sich zur Ruhe. Dann setzte er das Stemmeisen wieder an,
kippte es noch einmal zur Seite. Diesmal sprang der
Fensterflügel tatsächlich auf, und er atmete erleichtert
durch. Ein wenig Eis splitterte ab und fiel in den Schnee am
Fuß der Leiter. Die ersten Flocken waren gefallen, als er
sich auf den Weg gemacht hatte. Falls es aufhörte zu schneien,
würden seine Schritte eine perfekte Spur hinterlassen. Ihm
würde etwas einfallen müssen, wenn er das Gebäude
wieder verließ.
    Die letzte Woche hatte
er damit verbracht, den Palazzo Tron rund um die Uhr zu beobachten.
Dabei hatte er festgestellt, dass das Gebäude lediglich von
drei Personen bewohnt wurde. Da war die Contessa Tron, die Mutter
von Commissario Tron, eine wohlerhaltene Siebzigjährige. Dann
gab es einen gewissen Alessandro da Ponte, der mindestens genauso
alt war wie die Contessa und die Rolle des Majordomus einnahm. Sein
Schlafzimmer befand sich, ebenso wie das der Contessa, im oberen
Mezzaningeschoss. Signor da Ponte befehligte ein halbes Dutzend
Dienstboten, die allerdings nicht im Palazzo Tron
übernachteten. Der Commissario selber schlief im unteren
Mezzaningeschoss, direkt über dem portego. Falls er
überhaupt im Palazzo Tron übernachtete, denn die meisten
Nächte verbrachte er im Palazzo Balbi-Valier, bei der
Principessa von Montalcino. Heute Nacht schlief der Commissario
definitiv nicht im Palazzo Tron. Sonst würde er ihm direkt in
die Arme laufen, denn er hatte seine Leiter an das Fenster des
Commissario gelehnt. Die Leiter stand direkt auf dem Canalazzo, auf
einer Eisdecke, die inzwischen so dick war, dass sie das Gewicht
einer Lokomotive getragen
hätte.          
    Der Frost hatte die
Stadt vor zwei Wochen überfallen -ein plötzlicher
Temperatursturz legte bereits in der ersten Nacht eine fingerdicke
Eisdecke auf Kanäle und Lagunen. Nach weiteren drei Tagen war
das Eis zwei Fuß tief und von erstaunlicher Durchsichtigkeit.
Es war so klar, dass man, in einer Tiefe von mehreren Fuß
erstarrt, hier einen Tümmler sehen konnte, dort eine Flunder,
dann ganze Schwärme von Aalen, regungslos wie in Trance. Die
Gondeln hatte man, damit sie das Eis nicht zerdrückte,
rechtzeitig aus dem Wasser entfernt. Einheimische und Fremde
flanierten dick vermummt über den gestreuten
Canalazzo.
    Für ihn war der
Frost ein Glücksfall. Fenster und Türen der Häuser
am Canalazzo pflegten nach hinten gut gesichert zu sein. Ganz
anders an der Wasserfront, wo niemand mit einem Einbruch rechnete.
Was also lag näher, als in einer wolkenverhangenen Nacht eine
Leiter zu benutzen? Der Mann, für den er arbeitete, hatte
seinen Plan gebilligt.
    Er stieß den
Fensterflügel auf und zog sich vorsichtig in das Zimmer des
Commissario. Einen Moment lang verharrte er regungslos und lauschte
mit angehaltenem Atem in die Dunkelheit. Als nichts zu hören
war, ließ er das Licht seiner Blendlaterne durch den Raum
schweifen. Zwei Fenster gingen auf den Canalazzo, ein weiteres auf
den Rio Tron. Er sah ein Pianino mit aufgeschlagenen Noten, dann
ein karges Bett, auf dem Nachttisch die Photographie einer blonden
Frau. Neben einem Zylinderbureau
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