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Die letzte Lagune

Die letzte Lagune

Titel: Die letzte Lagune
Autoren: Nicolas Remin
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von San
Marco sind nur die Spitze des Eisberges.»
    «Wie kamen die
Venezianer nach Byzanz?»
    «Die Kreuzfahrer
hatten venezianische Schiffe gebucht, konnten dann aber das Geld
für die Passage nicht aufbringen. Da hat der Doge Enrico
Dandolo vorgeschlagen, die Frachtraten in Form einer
militärischen Dienstleistung zu begleichen.»
    «Welche
Dienstleistung?»
    «Die
Zerstörung von Byzanz. Der vierte Kreuzzug sollte
ursprünglich nach Ägypten gehen.»
    Die Principessa
runzelte die Stirn. «Christliche Kreuzfahrer plündern
eine christliche Stadt?»
    «Genau das war
der Skandal. Denn alle wussten, dass die Byzantiner die
schärfsten Handelskonkurrenten der Venezianer im
östlichen Mittelmeer waren.»
    «Als Methode
brutal, aber wirkungsvoll.» Die Principessa nickte
anerkennend. «Was hat dieser Tron damit zu
tun?»
    «Er war
Sekretär von Enrico Dandolo. Und er hat auf dieser Expedition
offenbar ein Tagebuch verfasst. Das Tagebuch scheint
unvollständig zu sein, aber es gibt Hinweise darauf, dass sich
weitere Teile des Tagebuchs in San Lazzaro oder in der Wiener
Hofbibliothek befinden könnten.»
    «Ist Flyte den
Hinweisen nachgegangen?»
    «Ja, das ist er.
Nur scheint sich weder auf San Lazzaro noch in Wien Entsprechendes
angefunden zu haben.»
    «Kennst du Flyte
persönlich?»
    Tron schüttelte
den Kopf. «Ich wusste gar nicht, dass es ihn gibt. Gestern
kam ein Brief von ihm zusammen mit diesen Blättern
hier.»
    «Wie liest sich
das Tagebuch?»
    «Spannend und
erstaunlich modern», sagte Tron. «Im Mittelalter haben
die Leute keine Tagebücher geführt. Schon in dieser
Hinsicht wäre die Handschrift eine Sensation.» Er
häufte sich einen weiteren Löffel Schlagsahne auf die
Ananasscheibe. «Sowohl Rom als auch Wien haben Vertreter nach
Venedig entsandt, die das Tagebuch unbedingt sehen wollen. Aber
Flyte sperrt sich. Er will, dass die Veröffentlichung, die er
plant, eine Überraschung wird.»
    «Und dir schickt
er diese Auszüge?»
    «Mit der Bitte
um Diskretion. Und der Ankündigung, mich auch die folgenden
Teile des Tagebuchs lesen zu lassen. Ich vermute, er sucht einen
Verbündeten.»
    «Gegen Wien und
Rom? Gegen Papst und Kaiser?»
    «So
ungefähr. Wir Venezianer haben Erfahrung mit dieser
Konstellation.»
    «Wirst du Flyte
treffen?»
    «Er würde
mich gerne besuchen, schreibt er.»
    «Hier oder im
Palazzo Tron?»
    «Was meinst
du?»
    Die Principessa dachte
kurz nach. Dann sagte sie: «Bitte ihn hierher. Dann lerne ich
ihn auch kennen. Und jetzt lies mir aus dem Tagebuch
vor.»

6
    «Im Februar 1201
hatte die Republik mit den Anführern des Kreuzzugs ein
Abkommen getroffen», sagte Tron. «Der Vertrag sah vor,
dass wir den Transport der Kreuzfahrer ins Heilige Land
übernehmen würden. Ebenso die Verproviantierung für
ein Jahr. Dafür hatte die Republik fünfundachtzigtausend
Silbermark ausgehandelt. Das war mehr als das doppelte
Jahreseinkommen des Königs von Frankreich. Die ersten
Kreuzfahrer kamen im Juni 1202. Ende September waren zwanzigtausend
Mann in Venedig. Die meisten kampierten auf dem Lido, und die
Situation wurde täglich unhaltbarer, auch in der Stadt. Damit
fängt das Tagebuch an. Zanetto Tron ist zwanzig und wartet auf
die Einschiffung. Wir befinden uns im Herbst
1202.»
    23.
9.
    Meine Finanzlage
deprimierend. Heute Morgen flüchtige Aufstellung gemacht,
entsetzt über die Endsumme. Spielschulden, Schneiderrechnungen
und enorme Beträge bei diversen Schänken, in denen ich
anschreiben lasse. Natürlich versuche ich, die
Schneiderrechnungen über die Firma laufen zu lassen. Doch
Brüderchen Marino stellt sich jetzt quer. Hat die letzte
Rechnung noch unterzeichnet, aber gedroht, beim nächsten Mal
zu Papa zu gehen.
    Peinliche Szene
heute im andren. War dabei, Säcke mit
Weihrauch aus Akko zu inspizieren, als der Wirt vom Casa Rossa
auftauchte und sein Geld verlangte. Marino kam gerade nach Hause,
blieb mit finsterer Miene neben uns stehen. Hörte alles mit.
Hätte es wohl am liebsten, wenn mich bald ein Sarazenenpfeil
treffen würde.
    Nur eine Woche bis
zur Einschiffung und noch immer keine Nachricht aus den
Prokuratien, was genau meine Aufgabe sein wird. Etwas
Militärisches kann es nicht sein, auf diesem Gebiet habe ich
keine Erfahrungen. Also ein Verwaltungsposten. Wäre mir auch
am liebsten, mit eigenem Büro vielleicht. Verstehe nicht,
warum sich das so hinzieht. Aber Hauptsache, ich bin bald weg. Dann
kann sich Marino mit den Gläubigern
herumschlagen.
    24.
9.
    Wetter
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