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Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood

Titel: Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood
Autoren: Stephen Baxter
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umgezogen war.
    Vielleicht war sie einfach zu lange fort gewesen. Sie fühlte sich wie betäubt.
    Und sie merkte, dass es Gary, den sie nur aus einer Laune heraus mitgebracht hatte, unangenehm war, mitten in eine Familientragödie geraten zu sein.
    Gary wusste aus ihren endlosen Gesprächen in Barcelona alles über Lilys Familie. Ihre Mum war gewissermaßen eine GI-Braut gewesen; sie hatte einen in Suffolk stationierten Piloten der amerikanischen Air Force kennengelernt und geheiratet. Von ihm hatte sie zwei Töchter bekommen, bevor er im ersten Golfkrieg versehentlich von den eigenen Leuten unter Feuer genommen und getötet worden war. Lily hatte zwar nie in den USA gelebt, besaß jedoch die doppelte Staatsbürgerschaft. Mit vierzehn Jahren, nach dem Tod ihres Vaters, war ihre Mutter ihr Rettungsanker gewesen.
    »Ich wollte es dir nicht am Telefon sagen, als du angerufen hast, um deinen Besuch anzukündigen«, sagte Amanda nervös.
    »Dafür bin ich dir dankbar«, erwiderte Lily.
    Mit ihren fünfunddreißig Jahren war Amanda fünf Jahre
jünger als Lily. Tatsächlich war sie etwa so alt wie Lily zum Zeitpunkt ihrer Entführung. Schon seit jeher größer und dünner als Lily, hatte sie das schwarze Haar zu einem Knoten gewunden und trug ein schwarzes Kleid, das praktisch aussah, auch wenn es ihr vielleicht eine Nummer zu klein war. Obwohl nichts darauf hindeutete, dass im Haus geraucht wurde, glaubte Lily, bei Amanda Spuren der alten Angewohnheit zu sehen; sie hielt die rechte Hand so, dass sich zwischen Zeige- und Mittelfinger ein zigarettenförmiges Loch auftat.
    »Ich versteh nicht, wieso die Regierung es dir nicht erzählt hat. Du bist schließlich schon seit fünf Tagen aus Spanien zurück.«
    »Ich glaube, sie behandeln uns wie potenzielle Traumafälle.« Das lag an Piers Michaelmas, bei dem die Gefangenschaft offenkundige psychische Schäden angerichtet hatte. »Sie haben uns die Neuigkeiten in homöopathischen Dosen verabreicht. Selektiv.«
    Gary sah sich um. »Sieht so aus, als hätten Sie hier Ihr eigenes Trauma erlitten.«
    »Ja, im Frühling sind wir vom Hochwasser vertrieben worden. Es war alles so verdammt kompliziert, ihr würdet es nicht glauben. Die Versicherung, wisst ihr. Man muss ewig warten, bis ein Schadensregulierer kommt, und bis dahin darf man nichts anrühren. Man darf nicht mal den Schlamm rausschaffen. Es hat gestunken, Lily, das kannst du dir nicht vorstellen, Straßendreck und Abwasser überall auf dem Boden. Die Teppiche waren natürlich hin. Kein Strom, kein Wasser, kein Gas, verzogene Dielen, und der Gestank des Wassers ist hinterher noch wochenlang aus dem Putz gedünstet
- es war einfach ein Albtraum. Zum Glück sind bei uns keine giftigen Pilze aus den Wänden gewachsen. Die alte Mrs. Lucas hat welche gekriegt, erinnerst du dich noch an sie? Und selbst wenn der Typ von der Versicherung endlich mal da war, kriegt man nur Geld, wenn man sich verpflichtet, geeignete Maßnahmen zur Anpassung an das geänderte Klima zu ergreifen. Ich muss allerdings gestehen, dass ich Bodenfliesen viel besser finde als Teppich, du nicht? Sind viel leichter sauber zu halten. Natürlich hatten wir Glück. Mehrere Häuser hier in der Gegend sind für unbewohnbar erklärt worden.«
    »Diese alten Kästen sind nicht darauf ausgelegt, einer Überschwemmung zu widerstehen, nehme ich an«, sagte Gary. »Was ist passiert? Ist der Fluss über die Ufer getreten?«
    »Nein. Es war eine Sturzflut …«
    Es hatte tagelang unablässig geregnet, bis die noch aus viktorianischer Zeit stammenden Abflüsse und Abwasserkanäle verstopft gewesen waren. Da das Wasser nirgendwohin konnte, war es in gewaltigen Strömen über den Boden gelaufen und hatte sich auf der Suche nach einem Weg zum Fluss sintflutartig in Straßen, Häuser und Schulen ergossen.
    »Die Kinder sind heimgekommen, kurz bevor der Wasserspiegel auf der Straße zu steigen begann, in dem Punkt hatten wir Glück. Das Wasser ist unter der Tür durchgelaufen. Wir sind nach oben gegangen und haben uns einfach aneinandergekauert. Wir haben gesehen, wie ein Auto weggeschwemmt wurde, einfach die Straße entlang. Unglaublich, was? Dann ist es aus dem Waschbecken und sogar aus dem Klo hochgekommen, schwarzer, nach Abwasser stinkender
Modder. Die Kinder haben einen Mordsschreck gekriegt, das kann ich dir sagen. Nur gut, dass Mum das nicht mehr miterlebt hat.«
    »Kaum zu glauben, dass euch das alles passiert ist und ich nicht mal was davon wusste«, sagte Lily.
    Gary
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