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Die Leopardin

Titel: Die Leopardin
Autoren: Ken Follett
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sich, wie viel Zeit ihm noch blieb. Eine Agentin war auf der Straße draußen vor dem Schloss verhaftet worden. Eine zweite – wenn sie denn eine Spionin war – hatte er erwischt, als sie die Kellertreppe hochgekommen war. Und die anderen? Waren die gekommen und schon wieder gegangen? Warteten sie irgendwo darauf, ins Schloss gelassen zu werden? Oder befanden sie sich bereits im Gebäude? Die Ungewissheit machte ihn schier verrückt. Aber er hatte eine Durchsuchung des Kellers angeordnet, und mehr konnte er nicht tun – allenfalls noch diese Gefangene verhören.
    Er begann mit dem traditionellen Schlag ins Gesicht, unvermutet und demoralisierend. Schock und Schmerz nahmen der Frau vorübergehend den Atem.
    »Wo sind Ihre Komplizinnen?«, fragte er sie.
    Ihre Wange lief rot an, und Franck studierte ihren Gesichtsausdruck. Er war ihm ein Rätsel.
    Sie wirkte ausgesprochen glücklich.
    »Sie befinden sich im Schlosskeller«, erklärte er. »Hinter dieser Tür dort ist die Folterkammer. Auf der anderen Seite, hinter dieser Trennwand, sind die technischen Anlagen der Fernmeldezentrale. Wir befinden uns am Ende eines Tunnels, in einer Sackgasse sozusagen. Wenn Ihre Freundinnen das Schloss in die Luft jagen, dann werden wir beide hier drin gemeinsam sterben.«
    Sie verzog keine Miene.
    Vielleicht wollen sie gar nicht das Schloss in die Luft jagen, dachte Franck. Aber was wollen sie dann.? »Sie sind Deutsche«, sagte er. »Warum helfen Sie den Feinden Ihres Vaterlandes?«
    Endlich machte sie den Mund auf. »Das will ich Ihnen gerne erzählen«, sagte sie in Hamburger Tonfall. »Vor vielen Jahren hatte ich einen Geliebten. Er hieß Manfred.« Ihr Blick schweifte gedankenverloren ab. »Ihr Nazis habt ihn verhaftet und ins KZ verschleppt. Ich glaube, er ist dort gestorben – Genaues habe ich nie erfahren.« Sie machte eine Pause und schluckte. Franck wartete. »Als er mir genommen wurde, habe ich mir geschworen, dass ich mich eines Tages dafür rächen würde – und heute ist dieser Tag.« Sie lächelte glücklich. »Euer Banditenregime ist fast am Ende. Und ich habe dazu beigetragen, ihm den Rest zu geben.«
    Irgendetwas stimmt hier nicht, dachte Franck. Sie redet, als wäre das Unheil längst geschehen. Der Stromausfall ist doch gleich wieder behoben worden. Hat er etwa in der kurzen Zeit seinen Zweck bereits erfüllt? Diese Frau zeigt keinerlei Furcht. Es scheint ihr völlig egal zu sein, ob sie stirbt oder nicht. Wie ist denn so etwas möglich?
    »Warum ist Ihr Liebhaber verhaftet worden?«
    »Sie haben ihn als Perversen beschimpft.«
    »Welche Sorte?«
    »Er war homosexuell.«
    »Trotzdem war er Ihr Liebhaber?«
    »Richtig.«
    Franck runzelte die Stirn. Er sah die Frau genauer an. Sie war groß und breitschultrig, ihr Kinn und die Nase unter der Schminke wirkten maskulin.
    »Sind Sie ein Mann?«, fragte er in blanker Verwunderung.
    Sie lächelte nur.
    Franck kam ein schrecklicher Verdacht. »Warum erzählen Sie mir das alles?«, fragte er. »Versuchen Sie mich abzulenken, während Ihre Freundinnen sieh aus dem Staub machen? Wollen Sie etwa Ihr Leben für den Erfolg dieses Anschlags opfern.«
    Sein Gedankengang wurde von einem schwachen Geräusch unterbrochen. Es klang wie ein erstickter Schrei. Ihm wurde bewusst, dass er das Geräusch schon vorher zwei- oder dreimal gehört hatte, es aber nicht hatte wahrhaben wollen. Es schien aus dem angrenzenden Raum zu kommen.
    Franck sprang auf und ging in die Folterkammer.
    Er rechnete fest damit, dass die andere Spionin dort noch auf dem Tisch lag. Doch zu seinem Entsetzen musste er feststellen, dass es jemand anders war – ein Mann, wie er auf den ersten Blick erkannte, aber wer? Das Gesicht war fratzenartig verzerrt, der Unterkiefer ausgerenkt, die Zähne teilweise herausgebrochen, die Wangen verschmiert mit Blut und Erbrochenem. Im Mund steckte ein Gegenstand, der über Kabel mit dem Elektroschockgerät verbunden war. Dass es sich um Wachtmeister Becker handelte, erkannte Franck erst an der untersetzten Gestalt. Becker lebte noch. Er gab ein schreckliches Gewimmer von sich, und sein ganzer Körper zuckte und bebte.
    Schnell stellte er den Apparat ab. Becker hörte auf zu zucken. Franck packte die Kabel und riss daran. Das Ende flutschte aus Beckers Mund. Franck ließ es mitsamt den Kabeln auf den Boden fallen und beugte sich über den Tisch. »Becker!«, sagte er. »Können Sie mich hören? Was ist hier passiert?«
    Er bekam keine Antwort.
    Im Erdgeschoss ging alles seinen
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