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Die Legende

Die Legende

Titel: Die Legende
Autoren: David Gemmell
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Brillant. Er hob das Kristall dicht an sein Gesicht und betrachtete das Dutzend Augen, das sich darin spiegelte.
    Und jedes klagte an. Für einen Moment hätte er am liebsten das Glas zertrümmert, die Augen und diese Anklage zerstört. Aber er tat es nicht. Ich bin nicht verrückt, sagte er zu sich selbst. Noch nicht.
    Horeb, der Wirt, wischte sich die dicken Finger an einem Handtuch ab, warf einen müden, aber wachsamen Blick über die Menge, immer auf der Hut vor Ärger und bereit, mit einem Wort und einem Lächeln einzugreifen, ehe Hohn und Fäuste notwendig wurden.
    Krieg. Warum ließ die Aussicht auf so blutige Unternehmen Männer auf das Niveau von Tieren herabsinken? Einige der Zecher – genaugenommen die meisten – kannten Horeb gut. Viele hatten Familie: Bauern, Händler, Handwerker. Alle waren sie freundlich, die meisten mitfühlend, vertrauenswürdig, sogar sanft. Und hier waren sie und redeten von Tod und Ruhm und von ihrer Bereitschaft, jeden zu verprügeln oder zu erschlagen, der mit den Nadir sympathisierte. Die Nadir – selbst der Name wurde voller Verachtung ausgesprochen.
    Aber sie werden es noch lernen, dachte er traurig. Oh, und wie sie lernen werden! Horebs Blick schweifte durch den großen Raum und blieb voller Wärme auf seinen Töchtern hängen, die Tische abräumten und Krüge austeilten. Die kleine Dori errötete unter ihren Sommersprossen bei einem deftigen Scherz; Bests, das Abbild ihrer Mutter, groß und blond; Nessa, dick und unansehnlich und von allen geliebt, kurz vor ihrer Hochzeit mit dem Bäckerlehrling Norvas. Gute Mädchen. Geschenke der Freude. Dann fiel sein Blick auf die hochgewachsene Gestalt in Blau, die am Fenster saß.
    »Verdammt, Rek, hör auf damit«, murmelte er, wohl wissend, daß der Mann nicht auf ihn hören würde. Horeb wandte sich ab, fluchte, zog dann seine Lederschürze aus und ergriff einen halbvollen Krug Bier und einen Becher. Dann fiel ihm noch etwas ein. Er öffnete einen kleinen Schrank und nahm eine Flasche Portwein heraus, die er für Nessas Hochzeit aufbewahrt hatte.
    »Geteiltes Leid ist halbes Leid«, sagte er, während er sich auf den Stuhl Rek gegenüber quetschte.
    »Ein Freund in Not ist ein Freund, den man meiden sollte«, erwiderte Rek, nahm die angebotene Flasche und füllte sein Glas nach. »Ich kannte einmal einen General«, sagte er, starrte in den Wein und drehte das Glas zwischen seinen schlanken Fingern. »Hat nie eine Schlacht verloren. Aber auch nie eine gewonnen.«
    »Wie das?« fragte Horeb.
    »Du kennst die Antwort. Ich hab’ es dir schon früher erzählt.«
    »Ich habe ein schlechtes Gedächtnis. Jedenfalls höre ich gern zu, wenn du Geschichten erzählst. Wie konnte er nie verlieren und doch nie gewinnen?«
    »Er hat aufgegeben, wann immer er bedroht wurde«, sagte Rek. »Schlau, was?«
    »Wie kam es, daß seine Männer ihm folgten, wenn er nie gewann?«
    »Weil er nie verlor. Und sie auch nicht«
    »Wärst du ihm gefolgt?« fragte Horeb.
    »Ich folge niemandem mehr. Am wenigsten Generälen.« Rek wandte den Kopf und lauschte den anderen Gesprächen. Er schloß die Augen, um sich zu konzentrieren. »Hör dir das an«, sagte er leise. »Hör dir ihr Geschwätz von Ruhm und Ehre an.«
    »Sie wissen es nicht besser, Rek, mein Freund. Sie haben es noch nicht gesehen, nicht geschmeckt. Die Krähen, die wie eine schwarze Wolke über einem Schlachtfeld kreisen und ein Festmahl abhalten an den Augen der Toten; Füchse, die an zerrissenen Sehnen zerren, Würmer …«
    »Hör auf, hör auf! Du brauchst mich nicht daran zu erinnern. Ich wäre verdammt, wenn ich ginge. Wann heiratet Nessa?«
    »In drei Tagen«, antwortete Horeb. »Er ist ein guter Junge, er wird für sie sorgen. Backt immer Kuchen für sie. Sie wird bald aufgehen wie Hefe.«
    »So oder so«, meinte Rek augenzwinkernd.
    »Allerdings«, antwortete Horeb mit einem breiten Grinsen.
    Die Männer schwiegen und ließen den Lärm über sich hinwegspülen. Jeder trank und dachte nach, geborgen in ihrem Zweierkreis. Nach einer Weile beugte Rek sich vor.
    »Der erste Angriff wird in Dros Delnoch stattfinden«, sagte er. »Weißt du, daß sie nur zehntausend Mann dort haben?«
    »Ich habe gehört, es wären noch weniger. Abalayn hat die Regulären eingeschränkt und konzentriert sich auf Bürgerwehren. Trotzdem, es sind immerhin sechs hohe Mauern und eine starke Festung. Und Delnar ist kein Narr – er hat an der Skeln-Schlacht teilgenommen.«
    »Wirklich?« sagte Rek. »Ich habe
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