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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude
Autoren: Emil Zola , Alfred Ruhemann
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vorübergebraust war, beugte er sich von neuem zur Straße hinab. Veronika kam zurück und fuchtelte lebhaft mit den Armen.
    »Wie? ... Sie sind draußen? ... Wollen Sie wohl sofort hineingehen, Herr!''
    Sie erreichte ihn auf dem Flur und kanzelte ihn wie einen ungehorsamen Knaben ab. Wer würde ihn wieder zu pflegen haben, wenn er am nächsten Tage zu leiden habe?
    »Du hast nichts gesehen?« fragte er in unterwürfigem Tone.
    »Ganz gewiß nichts, gar nichts habe ich gesehen ... Die Frau ist jedenfalls irgendwo in Sicherheit.«
    Er wagte ihr nicht zu sagen, daß sie habe weiter reisen sollen. Jetzt quälte ihn namentlich das Ausbleiben seines Sohnes.
    »Ich habe bemerkt«, begann die Magd von neuem, »daß das ganze Dorf auf dem Kopfe steht. Diesmal fürchten sie, auf dem Platze zu bleiben. Schon im September hatte das Haus des Cuche von oben bis unten einen Riß bekommen. Prouane, der gerade zum Angelusläuten hinaufstieg, versicherte mir, morgen werde es ganz am Boden liegen.«
    In diesem Augenblick nahm ein großer, junger Mann von neunzehn Jahren die drei Stufen der Vortreppe mit einem Sprunge. Er hatte eine breite Stirn, sehr helle Augen und den feinen Flaum eines kastanienbraunen Bartes um das lange Gesicht.
    »Um so besser, da ist Lazare«, sagte Chanteau sichtlich erleichtert. »Wie durchnäßt du bist, mein armer Junge!«
    Der junge Mann hängte im Vorraum einen vom Regen durchnäßten Matrosenmantel auf.
    »Und?« fragte abermals der Vater.
    »Nichts«, antwortete Lazare. »Ich bin bis Verchemont gewesen und habe vom Wagenschuppen der Herberge aus nach der Straße ausgelugt, die einem wahren Dreckstrom gleicht. Aber es kam niemand! ... Darauf bin ich umgekehrt, weil ich fürchtete, du würdest dich ängstigen.«
    Er hatte die Schule in Caen im August nach Bestehen der Hauptprüfung verlassen und trieb sich schon seit acht Monaten zwischen den Küstenfelsen herum. Er konnte sich nicht zu einer ernsten Beschäftigung entschließen, gab sich aber leidenschaftlich der Musik hin, was seine Mutter zur Verzweiflung brachte. Sie war grollend abgereist, weil er sich geweigert hatte, sie nach Paris zu begleiten, wo sie eine Stellung für ihn zu finden hoffte. Ein unwillkürlicher Verdruß, den die Gemeinsamkeit des häuslichen Lebens noch verschärfte, ließ daher im Hause alles drunter und drüber gehen.
    »Jetzt weißt du alles«, begann der junge Mann wieder. »Ich möchte nun noch bis Arromanches vordringen.«
    »Nein, nein, es wird schon Nacht«, rief Chanteau. »Deine Mutter kann uns unmöglich ohne Nachricht lassen. Ich erwarte eine Depesche. Halt! Das klingt wie ein Wagen.«
    Veronika hatte abermals die Tür geöffnet.
    »Es ist der Wagen des Doktors Cazenove«, meldete sie. »Haben Sie ihn herbestellt, Herr? ... Ach mein Gott, da ist doch unsere Frau!«
    Alle eilten hastig auf den Vorflur. Ein dicker Berghund, eine Kreuzung vom Neufundländer, der in einer Ecke des Vorraumes geschlafen hatte, sprang mit wütendem Gekläffe auf. Durch das Gelärm angelockt, erschien auf der Schwelle auch eine kleine, weiße, äußerst zart gebaute Katze. Angesichts des schmutzigen Hofes durchlief ein leichtes Erzittern ihren Schwanz. Es ekelte sie sichtlich vor dem Hofe, und so setzte sie sich auf die oberste Stufe, um von hier aus den Vorgängen zuzuschauen.
    Inzwischen war eine Dame von fünfzig Jahren mit der Behendigkeit eines jungen Mädchens aus dem Wagen gesprungen. Sie war klein und mager, ihr Haar noch tiefschwarz, ihre Züge angenehm, aber durch eine zu große Nase geschädigt. Mit einem Satze legte der Hund ihr die Pfoten auf die Schultern, als wolle er die Frau umarmen. Sie ärgerte sich darüber.
    »Mathieu! Willst du wohl ... Bist du endlich fertig, dickes Tier?«
    Lazare kam hinter dem Hunde über den Hof. Er rief schon von weitem:
    »Es ist dir doch kein Unglück zugestoßen, Mama?«
    »Nein, nein«, antwortete Frau Chanteau.
    »Mein Gott, wir waren nicht wenig besorgt«, sagte auch der Vater, der trotz des Windes dem Sohne gefolgt war. »Was ist nur geschehen?«
    »Nichts als Verdrießlichkeiten die ganze Zeit hindurch«, erklärte sie. »Die Wege sind zunächst so schlecht, daß man von Bayeux bis hierher fast zwei Stunden brauchte. In Arromanches endlich brach sich ein Pferd von Malivoire das Bein. Er konnte uns kein anderes geben, und so sah ich mich im Geiste schon bei ihm übernachten ... Schließlich hatte der Doktor die Güte, uns seinen Wagen zu leihen. Der brave Martin hat uns hergebracht
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