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Die Lazarus-Formel

Die Lazarus-Formel

Titel: Die Lazarus-Formel
Autoren: Ivo Pala
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Nachkommen, Rudel. Nur ich nicht, mich gab es nur einmal. Doch ich sagte mir: Das ist unmöglich; wenn es von allen viele gibt, muss es auch von mir noch welche geben. Also machte ich mich auf die Suche nach meinesgleichen. Doch so oft ich die Insel auch absuchte, es gab dort niemanden wie mich.
    Aber wenn alles um mich herum geboren wurde, so überlegte ich, musste doch auch ich irgendwann geboren worden sein. Lag mein Ursprung vielleicht nicht auf dieser Insel, sondern woanders, so wie bei den Zugvögeln, die alljährlich aus dem Norden über den Himmel kamen? Gab es dort vielleicht noch ein anderes Land? Ich musste nach Norden. Doch wie? Fliegen konnte ich nicht. Aber schwimmen, das hatte ich sehr früh gelernt. Also stieg ich ins Wasser und schwamm los.«
    »Du bist einfach so losgeschwommen?«
    »Ja, einfach so.« Ben zuckte mit den breiten Schultern. »Weißt du, wenn man nicht die Fantasie hat, sich mögliche Konsequenzen und Folgen des eigenen Handelns auszumalen, hat man auch keine Angst davor, und ich war damals mehr wie ein Tier.«
    »Was ist dann passiert?«
    »Nach drei Tagen und Nächten erreichte ich die nächste Insel. Doch auch auf ihr fand ich trotz monatelanger gründlicher Suche niemanden wie mich. Und so ging es weiter, Insel für Insel für Insel. Allerdings kam ich bald dahinter, dass es einfacher war, mir ein Floß zu bauen, statt die langen Strecken zu schwimmen. Und so stieß ich irgendwann tatsächlich auf Menschen. Es waren einfache Fischer, die mich freundlich aufnahmen und mich ihre Gepflogenheiten lehrten und ihre Sprache. Endlich hatte ich mein Zuhause gefunden.
    Doch das Gefühl des Angekommenseins war nur von kurzer Dauer. Zumindest relativ betrachtet. Denn diese Menschen … Sie wurden mit der Zeit älter und starben, aber ich nicht. In ihren Augen machte mich das zu einem Monster, und sie begannen mich zu fürchten und versuchten schließlich sogar, mich zu töten. Als ihnen das nicht gelang, vertrieben sie mich.
    Meine Suche begann also von Neuem. Aber egal, wie oft ich in der Folge auf Menschen stieß, sie waren nicht von meinesgleichen, und früher oder später begannen sie jedes Mal, mich zu hassen, und verjagten mich.
    Dann aber traf ich schließlich auf Menschen, die mich nicht vertrieben, sondern mich im Gegenteil zu ihrem Anführer machten, die mich anbeteten und mir Geschenke darbrachten. Für eine Weile gab mir das eine Art von Zuhause. Und eine erfüllende Aufgabe: mein Volk zu beschützen für all das Gute, das es mir angedeihen ließ.
    Doch mit der Zeit kam sie wieder durch, die Neugier. Wer war ich? Woher kam ich? Wo waren die, die waren wie ich? Also zog ich erneut los. Doch egal, wo und wie lange ich suchte, es gab niemanden wie mich.
    Aber dafür entdeckte ich im Laufe der Jahrhunderte immer größere, immer kultiviertere Dörfer und Gemeinden und schließlich die Stadt, zu der sie gehörten: Eridu. So etwas Großes und Eindrucksvolles hatte ich noch nie zuvor gesehen. All die Häuser und Straßen, die vielen Menschen. Kanalisation und Wasserwirtschaft, Ackerbau mit bis zu drei Ernten im Jahr. Blühender Handel, organisierte Fischerei, aus allen Nähten platzende Vergnügungsviertel. Eridu war über tausend Jahre alt, älter noch als ich. Es war erbaut worden von einem gewissen EnKi, den die Menschen ihren Gott nannten – und der es, wie ich zu meiner großen Begeisterung erfuhr, noch immer regierte.
    EnKi war wie ich – unsterblich. War ich also vielleicht auch ein Gott? Ich beschloss, das herauszufinden, und ging zu seinem Palast. Ihr könnt euch vorstellen, wie groß meine Überraschung war, als er mich wiedererkannte . Aber auch er war sehr erstaunt, mich zu sehen. Er nannte mich A-Ser und begrüßte mich fast unterwürfig freundlich. Ich stellte ihm natürlich gleich all die Fragen, die sich in mir während all der Jahrhunderte angesammelt hatten. Doch er wich ihnen aus und meinte, ich sollte mich nach den Anstrengungen meiner weiten und langen Reise zunächst stärken und ausruhen. Für meine Fragen wäre auch morgen noch Zeit.
    Er rief in der ganzen Stadt einen Feiertag aus und gab mir zu Ehren ein Festbankett in seinem Palast – und für einen Abend lang das Gefühl, am Ende meiner Irrfahrt angekommen zu sein. Er tischte die exotischsten Speisen auf, und das Bier floss in Strömen. Aber meines hatte er, wie ich bald feststellen musste, mit Opium vermischt.
    Ich merkte, dass ich in eine Falle geraten war, und kämpfte so gut ich konnte gegen die
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