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Die Lazarus-Formel

Die Lazarus-Formel

Titel: Die Lazarus-Formel
Autoren: Ivo Pala
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mich in den Tank.«
    Ben ging mit ihr an den Maschinen und Bildschirmen vorbei zu dem etwa zweieinhalb Meter hohen Glaszylinder und betrat die daneben stehende Leiter.
    »Du musst …«, brachte Eve hervor.
    »Was?«
    »Mich ausziehen … erst ausziehen.«
    »Natürlich«, sagte Ben, ging zurück und legte sie auf einen freien Tisch. Margaret half ihm dabei, Eve schnell, aber vorsichtig von ihrer blutgetränkten Kleidung zu befreien. Dennoch stöhnte sie zweimal unter Schmerzen auf.
    »Wenn … wenn ich im Tank bin«, sagte sie schwer, aber flach atmend, »stell die Leiter weg … und … und … dann … aktiviere die … automatische … die Steuersequenz … am Rechner … mit … ›Eins‹ … und … und mit ›Enter‹.«
    »Mach ich«, sagte Ben und trug sie wieder hinüber zum Tank. Er stieg die Leiter nach oben und hob Eve über den Rand des mit Wasser gefüllten Zylinders hinweg.
    »Die … die Sauerstoffmaske«, sagte Eve und deutete auf eine Atemmaske, die unten auf einem Tisch nahe der Leiter lag. Margaret schnappte sie sich und reichte sie Ben.
    Die Maske hatte ein integriertes Mikrofon und war mit einem langen Kunststoffschlauch mit einer Sauerstoffflasche verbunden, von der außerdem ein weiterer Schlauch zum Boden des Tanks führte.
    Ben setzte Eve die Maske auf Nase und Mund und zog ihr den Haltegummi über den Kopf. Sie selbst griff zu dem kleinen Ventil an der Maske und drehte es auf. Dann sah sie ihn an und nickte.
    Vorsichtig ließ er sie in das Wasser gleiten. Sie sank hinein, bis ihre Füße den Gitterboden berührten, und schwebte scheinbar schwerelos. Die Wunde in ihrem Bauch blutete kaum noch; das wenige Rot waberte durch die sonst klare Flüssigkeit.
    Sensoren an der Innenwand des Tanks übernahmen augenblicklich ihre Vitalzeichen und übertrugen sie auf ein Bildschirmdisplay. Ihr Puls piepte langsam und schwach.
    »Jetzt die Startsequenz«, sagte Eve durch das Mikro in der Maske, und es klang trotz der elektrischen Verstärkung gespenstisch schwach.
    Ben stieg die Leiter hinab, stellte sie weg und ging hinüber zu dem Terminal. Er drückte die »Eins«-Taste und dann »Enter«. Ein Generator sprang leise surrend an, und sofort blubberten Tausende kleiner Luftblasen aus den winzigen Löchern des Bodengitters und umtanzten Eves Körper.
    Ben sah auf dem Bildschirm des Terminals einen Countdown.
    8 – 7 – 6 – 5 – 4 – 3 – 2 – 1 …
    Bei Null sprangen die Geräte auf den vier Stativen an, die um den Glastank herum platziert waren wie die vier Himmelsrichtungsangaben auf einer Kompassrose. Zwei Lautsprecher. Zwei Strahler. Die Strahler begannen rötlich aufzuleuchten und die Lautsprecher zu vibrieren. Der tiefe Ton, der von ihnen ausging, war eher spür- als hörbar.
    Die Luftbläschen im Tank hörten auf, nach oben zu steigen. Sie schwebten stattdessen im Wasser, hefteten sich an Eves Körper und begannen zu zittern, so wie auch der ganze Tank gleich darauf kaum wahrnehmbar zu vibrieren begann.
    Das Wasser nahm eine rötliche Färbung an, die nichts zu tun hatte mit dem Blut aus Eves Wunde.
    Doch ihre Lider wurden immer schwerer, der Blick, mit dem sie Ben ansah, wurde immer verschwommener, unfokussierter. Die Pulsfrequenz auf dem Display wurde noch niedriger, die Ausschläge wurden flacher. Margaret stand etwas abseits und biss sich besorgt auf die Unterlippe, während die verschränkten Finger ihrer beiden Hände so fest miteinander rangen, dass die Knöchel weiß hervortraten.
    »So nah«, flüsterte Eve kraftlos in das Maskenmikrofon. Das Pulspiepen wurde zu einem einzigen monotonen Heulgeräusch, die gezackte Linie auf dem Display zu einem geraden Strich.
    Flatline.
    »Zu spät«, brachte Eve noch leise hervor. Dann sackte ihr Kopf nach vorn.

94
    »Sie ist tot.« Bens Stimme war mit einem Mal bar jeder Emotion. Er ließ sich kraftlos auf einen Stuhl fallen und vergrub das Gesicht in den Händen.
    »Nicht jetzt«, flehte Margaret und begann zu weinen. Wie in Trance schlurfte sie zu dem Zylinder hinüber, presste die Stirn gegen das Glas, und ihre schmalen Schultern hoben und senkten sich im Takt ihres Schluchzens. »Bei Odin. Nicht jetzt.« Sie schlug mit der kleinen Faust schwach gegen den Zylinder. Einmal, zweimal, dreimal. »Nicht jetzt!«
    Einen scheinbar ewigen Moment lang herrschte Stille, unterbrochen nur vom Permanentpiepen der Flatline. Dann drehte Margaret sich herum. Ihre blauen Augen waren feucht – und voller Wut.
    »Deine Schuld«, sagte sie heiser zu Ben.
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