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Die Landkarte der Finsternis

Die Landkarte der Finsternis

Titel: Die Landkarte der Finsternis
Autoren: Yasmina Khadra
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mich ansah, gab mir zu verstehen, dass er nur eine vorläufige Hypothese formulierte, bevor er sich einer anderen, stichhaltigeren zuwenden würde, denn in seinen Augen deutete momentan nichts auf Selbstmord hin. Als er sich seines Fauxpas bewusst wurde, rückte er seine Krawatte zurecht und fragte mich einfach, wie Jessica in letzter Zeit denn so gewesen sei. Ich erzählte ihm, dass ich sie sehr besorgt erlebt hatte, ausweichend und geheimnistuerisch, sie jedoch nicht eine Sekunde einer solchen Verzweiflungstat für fähig gehalten hätte. Den Kommissar schien meine Erklärung nicht zu befriedigen, da sie ihn offensichtlich nicht weiterbrachte. Er strich sich über den Nasenrücken, fuhr sich dann, ohne mich aus den Augen zu lassen, mit der Hand über die Glatze und fragte mich schließlich, ob meine Frau einen Abschiedsbrief hinterlassen habe … »Einen Abschiedsbrief?« – »Oder von mir aus eine Tonbandaufnahme oder etwas in der Art«, fügte er hinzu. – »Danach habe ich nicht gesucht«, bekannte ich. Der Kommissar wollte wissen, ob unsere Ehe gerade in Schwierigkeiten gesteckt habe. Bei dieser Frage wandte er den Blick von mir ab. Ich versicherte ihm, dass wir uns bestens verstanden hätten und keinerlei Zwietracht unsere Beziehung überschattet hätte. Ich begann zu zittern, es war mir peinlich, vor Fremden mein Privatleben auszubreiten. Dieses eigentlich ganz normale Verhör hatte einen unverschämten Unterton, den ich nicht ertrug. Es war, als ob diese drei Polizisten mich verdächtigten und versuchten, mir eine Falle zu stellen. Die kalte Entschlos­senheit, mit der sie zu Werke gingen, brachte mich zur Verzweiflung. Der Kommissar kritzelte etwas in sein Heft. Nachdem er sich hinter vorgehaltener Hand geräuspert hatte, teilte er mir mit, dass der Tod meiner Frau laut Auskunft des Gerichtsmediziners zwischen 10 und 14 Uhr eingetreten sei, und bat mich, ihm meinen Tagesablauf zu schildern. Ich erklärte ihm, dass ich früh um halb neun unser Haus verlassen und um Viertel nach neun meine Praxis erreicht hätte, bis um 13 Uhr Patienten untersucht hätte, dann essen gegangen und danach an meinen Arbeitsplatz zurückgekehrt sei … Jäh überfiel mich die Angst: Und wenn man nun wissen wollte, was ich zwischen 13 und 15 Uhr 30 gemacht hatte, wie sollte ich da ohne einen brauchbaren Zeugen glaubhaft beweisen, dass ich allein auf einer Parkbank gesessen hatte, während meinen Patienten im Wartezimmer die Zeit lang wurde?
    Die drei Polizisten nahmen meine Aussagen mit scheinbarem Gleichmut entgegen, unempfänglich für die Qualen, die ich ­ihretwegen durchlitt. Ich verübelte es ihnen, dass sie mich derart bedrängten, meinen Kummer ignorierten und mich immer weiter mit Fragen bestürmten, die schamlos mein Eheleben ausleuchteten. Ich wartete mit stoischer Resignation, dass sie endlich gingen, aus meinem Blickfeld verschwänden. Nach dem Ende des Verhörs verstaute der Kommissar sein Heft in der Innen­tasche seines Trenchcoats und fragte mich, ob er mir irgendwie nützlich sein könne. Ich antwortete nicht. Er nickte, reichte mir seine Visitenkarte und wies mich auf seine Telefonnummer hin, falls mir noch etwas einfallen sollte.
    Kaum waren die Polizisten fort, umfasste ich meinen Kopf wieder mit beiden Händen und versuchte, an nichts mehr zu den­ken.
    Emma rief an und teilte mir mit, dass meine Patienten nicht länger warten wollten. Ich bat sie, mich zu entschuldigen und für die nächsten Tage alle Termine abzusagen. Besorgt fragte sie nach.
    Â»Jessica ist tot«, erklärte ich ihr mit tonloser Stimme.
    Â»Mein Gott!«, rief sie aus.
    Und horchte lange schweigend ins Telefon, bevor sie auflegte.
    Ich schaute auf den Hörer in meiner Hand, wusste nicht, wohin damit.
    Dann tauchten die ersten Nachbarn auf. Das Treiben vom Abend zuvor war ihnen nicht entgangen. Die Ankunft des Rettungswagens und der Polizeiautos mit blinkendem Blaulicht hatte sie wohl am Schlafen gehindert. Jetzt, da es hell war, kamen sie, um sich zu erkundigen, was passiert sei.
    Gegen Mittag erschien Hans Mackenroth. Emma hatte ihn informiert. Tief betroffen nahm er mich in den Arm: »Was für ein Unglück!«, sagte er nur.
    Wir setzten uns an den Küchentisch und horchten auf den Regen, der an die Scheiben trommelte. Wir sprachen kein Wort, rührten uns nicht.
    Später stieß Emma zu uns. Sie hatte
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