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Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman

Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman

Titel: Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
Autoren: Charlotte Thomas
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abgestoßenes Behältnis aus morschem Holz, das Antonio vorhin schon ins Auge gefallen war. Er hatte es als Proviantkiste eingestuft, es dann jedoch trotz seines nagenden Hungers nicht weiter beachtet, denn es stank erbärmlich nach Schimmel.
    Antonio zog es vor, sich weiterhin möglichst unauffällig zu verhalten, daher gab er sich Mühe, nicht allzu aufgeweckt dreinzuschauen.
    Unter den aufmerksamen Augen des Zehnerrats trat Mosè einen Schritt zur Seite und verpasste Antonio einen Tritt. »Worauf wartest du, Bursche? Nimm schon die Kiste! Und wehe, du lässt sie wieder fallen!«
    Antonio rang sich ein dümmliches Grinsen ab und tat, wie ihm geheißen. Die Kiste war nicht gerade ein Leichtgewicht, aber so schwer, dass der Kaufmann sie nicht ohne Weiteres selbst hätte tragen können, war sie ganz sicher nicht.
    »Gehen wir hinein«, sagte Querini, während er sich abwandte und mit wehendem schwarzem Ornat vorauseilte.
    Antonio rechnete mit einem weiteren Tritt, doch es kam keiner, sondern nur eine brummige Aufforderung. »Worauf wartest du?«
    Anscheinend war der Kaufmann schlau genug, Antonio vor sich hergehen zu lassen. Dass in der Kiste keineswegs verschimmelte Nahrung war, hätte inzwischen selbst der größte Schwachkopf bemerkt. Antonio setzte sie sich auf die Schulter, um es noch einmal hören zu können: Im Inneren klirrte es schwach, und Antonio glaubte förmlich, es unter dem Holz blitzen und schimmern zu sehen.
    Eine diffuse Gefühlsmischung wallte in ihm auf, hauptsächlich blanke Gier, begleitet von dem Wunsch, sich die Kiste unter den Arm zu klemmen und zu verschwinden, zum Teil aber auch widerwillige Bewunderung für den Juden, der es wagte, ohne Begleitschutz seine Reichtümer in einer schäbigen Kiste in die Stadt zu bringen.
    In den letzten Jahren war es für die Juden in Venedig nicht leicht gewesen, ihren Geschäften nachzugehen. Sie durften immer nur für kurze Zeit von der Terraferma herüberkommen und Handel treiben, nicht länger als zwei Wochen und unter strenger behördlicher Kontrolle.
    Antonio erinnerte sich nur dunkel an ihre Vertreibung aus der Stadt vor fünf Jahren; außer dem Gerede der Leute über die Ausweisung war ihm nicht viel im Gedächtnis geblieben – bis auf einen Vorfall, der sich ihm unauslöschlich eingeprägt hatte. Damals war eine jüdische Familie in der Nachbarschaft von drei Militi aus ihrem Haus gezerrt worden, und die Mutter hatte gejammert und gebettelt, bleiben zu dürfen, da ihre Kinder an Fieber litten und ihr Mann erst zwei Tage zuvor gestorben sei. Doch die Büttel hatten mit unbewegten Gesichtern die ganze Familie auf ein Traghetto verfrachtet und sämtliche Habe in Säcken hinterhergeworfen. Einer der Säcke war ins Wasser gefallen und untergegangen, und das darauf einsetzende Klagen der Frau hatte das ganze Sestiere erfüllt.
    In dem Sack, den Antonio in einem kurzen Tauchgang wenig später aus dem Wasser gefischt hatte, waren nur ein primitiv geschnitzter Kerzenhalter, ein paar schäbige Löffel und abgestoßene Holzteller gewesen, nichts von besonderem Wert.
    Antonio trabte dem Zehnerrat hinterher und starrte betont gleichmütig an der rothaarigen Göre vorbei, die immer noch mit ihrem Vater auf der Brücke stand. Der Mann schirmte das Kind mit seinem Rücken ab und schaute sich kein einziges Mal um, doch das Mädchen lugte an seinem Arm vorbei, als wolle es sich nichts entgehen lassen.
    Er fühlte förmlich ihre Blicke in seinem Rücken brennen, als er an ihr vorbeikam, und mit einem Mal war er absolut sicher, dass sie den ganzen Vorfall beobachtet hatte. Sie hatte ihrem Vater von dem Diebstahl erzählt, und der würde nicht zögern, die Wachen aufzuklären.
    Antonio machte sich auf wütende Anklagen gefasst, doch als er aus den Augenwinkeln zurückschielte, sah er, dass das Mädchen ihm immer noch schweigend nachschaute. Ein seltsamer Ausdruck stand in ihren Augen, beinahe so, als ob sie sich fürchtete.
    Dann versperrte ihm Mosè den Blick auf den Ponte della Paglia.
    »Versuch es gar nicht erst«, sagte der Kaufmann leise.
    »Was denn?«, gab Antonio verärgert zurück. »Ich hab nicht vor wegzulaufen, ehrlich nicht!«
    »Ah ja? Falls das so ist, schau nach vorne und geh brav weiter. Dann darfst du für heute deine Hand behalten.«
    Mosès Schläfenlocken wippten unter dem gelben Hut, den er wie alle Juden – mit Ausnahme der Ärzte – tragen musste, und sein Gesicht war von Schweißperlen übersät. Antonio schätzte ihn auf Anfang fünfzig,
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