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Die Kreuzfahrerin

Die Kreuzfahrerin

Titel: Die Kreuzfahrerin
Autoren: Stefan Nowicki
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Träumte er? Filippo Bruno, der sich seit seinem Eintritt ins Dominikanerkloster San Domenico Maggiore Giordano nannte, erwachte aus einem unruhigen Schlaf. Ein paar Insekten kitzelten ihn im Gesicht, und das Schnarchen seiner Mitbrüder im Dormitorium ließ den Gedanken an ein Weiterschlafen nicht mehr zu. Wie spät mochte es sein? Giordano ahnte, ja wusste, dass man in Rom seinen Reden nicht mehr lange tatenlos zusehen würde. Zwischen den schweren Holzbalken vor den Fenstern bahnte sich das Licht des Mondes mühsam seinen Weg. Er lauschte: Die anderen Mönche schliefen ruhig. Sollen sie doch, diese Narren, dumme Schafe, die nur glaubten, was Rom ihnen vorkaute. Dummes Geschwätz. Heilige, die Jungfrau Maria, alles Hirngespinste, Narreteien. Er, Giordano, wusste es besser. Keine Ahnung hatten sie. Leise richtete er sich auf. Seine Habseligkeiten lagen in einem Stoffbeutel neben seiner Bettstatt. Die Kutte aus weißem Leinen und das Skapulier packte er dazu.
    Flieh, Giordano, flieh!
    Immer noch hallte der Warnruf in seinen Ohren. Auf leisen Sohlen schlich er über den knarzenden Holzboden des Dormitoriums, wohl ahnend, dass ihm mehrere Augenpaare heimlich folgten. Was waren sie doch für jämmerliche Wichte. Keine Ahnung hatten sie und keine Gedanken machten sie sich wie er, der nun bereit war, sein Wissen in die Welt hinauszutragen. Allesamt waren sie arme Schlucker, stammten aus den ländlichen Regionen rund um Neapel. Giordanos Vater, ein Soldat, hatte es immerhin zu einem bescheidenen, kleinen Bauernhof vor den Toren der Stadt Nola gebracht, wo er Wein anbaute. Aber auch das hätte letztlich nicht gereicht, um dem Sohn ein Studium zu ermöglichen, und nichts Geringeres war sein Ziel, zu nichts weniger fühlte sich sein Geist berufen. Universelle Studien aller Wissenschaften. Besonders die Naturwissenschaften und ganz speziell Astronomie und Astrologie hatten es ihm angetan. Schon früh hatte er die mystischen Deutungen mancher Gelehrter als Firlefanz abgetan. Nur das Reale, das Erfassbare, das Beweisbare waren für ihn ernsthaft Gegenstand seiner Überlegungen. Nur damit wollte er sich auseinandersetzen. Alles andere: Humbug, Vergeudung seines hellen Verstandes. Nicht wert, eine Sekunde darüber nachzudenken. Ja, schlaft nur, ihr Nichtsnutze, schlaft und träumt von all den Heiligen, die ihr in wenigen Stunden, noch vor Anbruch des Tages, wieder inbrünstig anbeten werdet, und dankt den Dominikanern, dass sie euch aufgenommen haben. Nur so bekommt ihr die Möglichkeit, eurem dumpfen Bauerndasein zu entfliehen. Nur so erhaltet ihr überhaupt die Chance, euren hohlen Köpfen Wissen zuzuführen, von dem ihr bis vor kurzem noch nicht mal ahntet, dass es überhaupt existiert – und dennoch werdet ihr es nicht nutzen, dieses Wissen, weil die Kirche es euch untersagt. Ihr werdet den Geist der griechischen Philosophen nicht spüren, weil Rom ihn zum Ungeist erklärt hat. Ihr werdet euer bescheidenes Wissen nicht vermehren können, ergänzen durch wunderbare Gedanken großer Menschen, und schon gar nicht werdet ihr eure eigenen Gedanken formen und entwickeln.
    Giordano wusste, dass er sich nicht zu beeilen brauchte, sie würden ihm nicht folgen, ihn gar gefangen halten, bis ihn Soldaten aus Rom holen und der heiligen Inquisition übergeben würden. Froh würden sie sein, wenn er fort war, wieder ruhiger und gemächlicher Trott Einzug hielt und keine ketzerischen Reden ihr besinnliches Dasein störten. In seinem Beutel hatte er neben seinem Ordensgewand etwas Brot, getrocknete Früchte, ein paar Nüsse und ein Stück Käse und in seinem Kopf den Gedanken, bald ein freier Mann zu sein, der die Welt durch sein Wissen und seinen Verstand bereichern würde.
    Als Erstes würde er nach Nola gehen, zum Haus seiner Eltern, und sich dort so lange aufhalten, bis sich die Aufregung um ihn wieder gelegt hatte. Er selbst war es ja gewesen, der die Kirchenoberen so lange provoziert hatte, bis sie ernsthaft in Erwägung gezogen hatten, ein Inquisitionsverfahren gegen ihn einzuleiten. Es begann damit, dass er sich geweigert hatte, der im Kloster zelebrierten Marienverehrung beizuwohnen, hatte sich über seine Mitbrüder lustig gemacht, wenn sie von ihren persönlichen Begegnungen mit Gott berichteten. Er hielt die Dreieinigkeit Gottes für dummes Geschwätz, hatte laut Missstände, Verlogenheit und Heuchelei hinter Klostermauern angeprangert. Seine Mitbrüder beruhigten ihn und versuchten ihn vor sich selbst in Schutz zu nehmen, aber
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