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Die Kreuzfahrerin

Die Kreuzfahrerin

Titel: Die Kreuzfahrerin
Autoren: Stefan Nowicki
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für uns auftreiben kann, und vielleicht bringe ich auch in Erfahrung, wo heute das Lager aufgeschlagen wird. Roderich wird hoffentlich heilgeblieben sein, dann wird er uns suchen.“
    Hilde nickte nur erschöpft. Ursula sah sich um, zwischen den Häusern lagen die Körper einiger Erschlagener. Vielleicht sollte sie nachsehen, ob es in den Häusern etwas zu essen und zu trinken gab. Doch allein, ohne den Schutz eines Mannes, traute sie sich nicht, in ein Gebäude einzudringen. Also entschied sie sich, einer Seitenstraße ins Stadtinnere zu folgen. Überall lagen jetzt Leichen. Die Raserei der ausgehungerten Krieger kannte keine Gnade mehr. Alles, was sich ihnen in den Weg gestellt hatte, war niedergemacht worden. Ursula sah die blutigen Körper von alten Frauen und Kindern, seltener einen Mann, kaum jemanden mit Waffen. Die Ritter und auch alle anderen, die noch Waffen trugen, kamen ihr auf unmenschliche Weise abgestumpft vor. Schon auf dem Marsch der letzten Tage hatte sie in viele Augenpaare geblickt, die seltsam entrückt, oder manchmal auch hinterhältig blitzend erschienen waren. Sie wusste, die gesamte Pilgerschaft litt Hunger, Durst und vor allem an einer großen Hoffnungslosigkeit. Wollte dieses verdammte Jerusalem denn nicht langsam näherkommen? Wer würde die Heilige Stadt noch erreichen, wenn es so weiter ginge?
    Das Kind war wach geworden, und mit heftigen Bewegungen drückte es von innen gegen ihre Bauchdecke. Auch das, was sie da unter ihrem Herzen trug, bekam die Misslichkeit der allgemeinen Lage zu spüren. Doch nun, da sich das Kind gemeldet hatte und sie an die Liebe zu Roderich erinnerte, schöpfte Ursula Mut. Sie wusste, seit Monaten gaben Roderich und Hilde ihr immer wieder den Vorzug. Sie aßen weniger, damit Mutter und Kind genug hatten, und Ursula war diesen beiden Menschen so dankbar wie keinem Menschen auf der ganzen Welt. Voller Zärtlichkeit dachte sie an ihren Mann und streichelte sich über den Bauch. Auch sie hatte Durst.
    Vorsichtig schaute sie um die nächste Ecke. Da war ein kleiner Platz, und in der Mitte stand ein Ziehbrunnen. Ursula sah sich vorsichtig um, bevor sie über den Platz schritt. Auch hier lagen reglose Körper. Sie schaute hinunter in die Schöpfstelle, zog langsam an dem Seil. Es plätscherte, als sie den Eimer höher zog. Wasser war da. Sie hob den Eimer auf die niedrige Mauer und stieß ihn wütend sofort wieder in das Loch. Der Kadaver eines Hundes lag im Schöpfgefäß. Zorn stieg in Ursula auf, und Verzweiflung. Angewidert ging sie weiter. Wenn sie einen toten Krieger sah, schaute sie nach, ob er einen Wasserschlauch bei sich hatte. Aber sie hatte kein Glück. Sie war noch nicht weit gekommen, da hörte sie lautes Reden. Hinter der nächsten Häuserecke saßen einige Franken um ein großes Feuer. Sie hatten einen Kessel aufgestellt, und einer kam hinzu und warf zwei Fleischstücke hinein.
    „Hol noch mehr!“, befahl ein anderer. „Wer soll von den Fetzen satt werden?“ Ursula blieb vorsichtshalber hinter der Hausecke stehen. In den Stimmen der Männer klang eine seltsame Wut; sie hörten sich fast betrunken an, doch Ursula wusste, Wein gab es schon lange nicht mehr. Sie wollte erst einmal weiter beobachten. Der eine Mann ging nicht sehr weit, nur wenige Schritte hinter seinen Kameraden beugte er sich über den Körper einer erschlagenen Frau, riss ihr den Stoff vom Körper und schnitt ihr aus den Oberschenkeln und dem Gesäß große Brocken Fleisch heraus. Dann ging er zum Feuer und warf sie in den Kessel. Ursula erstarrte vor Entsetzen. Unter dem Gejohle weiterer Männer kam ein Soldat auf den Platz. Vor sich her trug er eine Lanze, auf die etwas aufgespießt war. Ursula konnte keinen Kopf sehen, und die Gliedmaßen waren mit Lederriemen eng an den Korpus gebunden. Es entsprach der Größe eines jungen Schweines, aber die Knochen der Glieder waren dafür zu lang.
    „Ich hab uns einen Spießbraten besorgt“, brüllte der Mann mit sich überschlagender Stimme und legte die Lanze über eine Halterung in die Flammen. Ein Lederriemen löste sich, und Ursula sah, wie die Finger einer Kinderhand in der Glut gleich verkohlten. Sie erstickte ihren Schrei mit der eigenen Hand vorm Mund und rannte, als sei ein Heer Turkmenen hinter ihr her, davon. Sie achtete nicht auf die Richtung, sie wollte nur weg von dem, was sie da gerade gesehen hatte.
    Im Lauf stieß sie hinter einer Hausecke mit einem Krieger zusammen. Erschrocken schrie sie auf, doch dann erkannte sie das
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