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Die Kraft gelebter Gegenwart

Die Kraft gelebter Gegenwart

Titel: Die Kraft gelebter Gegenwart
Autoren: Michael Brown
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psychiatrische Einrichtung eingewiesen worden sei. Die Diagnose lautete »bipolare Störung«. Das Mädchen wurde medikamentös behandelt.
    Clive berichtete, dass er kürzlich geschieden worden sei und dass seine Tochter danach bei seiner Exfrau gelebt habe. Offensichtlich hatte sich Nadine nach der Scheidung sehr merkwürdig und unberechenbar verhalten, und er hatte nichts davon gewusst. Zu ihren Verhaltensweisen hatten gewalttätige Ausbrüche und wohl auch Episoden geistiger Umnachtung gehört. Die Lage verschlimmerte sich so rasch, dass seine Frau der Empfehlung eines Psychiaters zustimmte, dass Nadine medikamentös behandelt und eingewiesen wird.
    Clive erzählte mir verärgert, dass er sofort zu der Einrichtung gefahren sei und seine Tochter mitgenommen habe, als er davon hörte – trotz der Proteste der Mitarbeiter dort. Er erklärte mir, dass er jetzt eine schwer unter Medikamenten stehende und unberechenbare Zwölfjährige in seinem Haus hätte und von mir wissen wolle, ob ich mit ihr arbeiten würde. Meine Antwort überraschte ihn: »Nein. Aber wenn Sie bereit sind, zu mir zu kommen und Erfahrungen mit dieser Arbeit zu machen, wird sie ihren Zustand integrieren können.«
    Ich erläuterte ihm kurz, dass unsere Kinder automatisch unsere Prägungen übernehmen, wenn wir unsere eigenen Prägungen aus unserer Kindheit nicht auflösen. Ich sagte ihm auch, dass Kinder erst dann eigene, authentische Erfahrungen machen können, wenn sie integrieren können, was wir ihnen in Form von Prägungen mitgeben. Alle Kinder mit Problemen seien Spiegelbilder von Eltern mit Problemen, sagte ich ihm.
    Dann fragte ich ihn, was das achtsame Reagieren seiner Exfrau auf den Zustand der Tochter gewesen sei. Er antwortete, dass sie offensichtlich beunruhigt gewesen sei, aber überzeugt davon, dass die psychiatrische Einrichtung »schon damit fertig werden« würde. – Selbst wenn das bedeuten sollte, dass Nadine ihr Leben in dieser Einrichtung verbringen und unter Medikamenteneinfluss stehen würde. Zu Hause wurde sie nicht mit Nadine fertig und hatte auch keine Pläne dafür. Er sagte, dass sie zwar offensichtlich nicht in der Lage und nicht bereit sei, Nadine zu sich zu nehmen, er das aber tun müsse, weil er nicht mit der Vorstellung klarkommen könne, dass sich seine Tochter weiter in dieser Lage befinde. Er sagte, er fühle sich traumatisiert durch ihren Zustand.
    Ich bestätigte ihm, dass aufgrund unseres kurzen Gesprächs, aufgrund seiner tiefen Sorge um seine Tochter und weil er auf mich zugekommen war, für mich offensichtlich war, dass die Situation seiner Tochter zu einem größeren Teil eine Spiegelung seiner nicht integrierten Kindheitsthemen war. Ich erläuterte ihm, dass dies der Grund dafür sei, dass er derjenige war, der »tief besorgt« war. Ich sagte: »Mit deiner Tochter ist alles in Ordnung, Clive. Sie spiegelt deine nicht integrierten Prägungen aus deiner Kindheit. Wenn du deine verdrängten, stark aufgeladenen Emotionen integrierst, wird sie sich gleichzeitig erholen.«
    Verständlicherweise war er verblüfft. Er meinte, dass er von so einem Ansatz noch nie gehört hätte. Dann fragte ich, was ihm widerfahren war, als er im Alter von zwölf Jahren war. Am anderen Ende der Leitung war es still. Nach einiger Zeit erklang seine Stimme sehr schwach: »Mein Vater hat uns verlassen. Woher wusstest du, dass etwas vorgefallen ist, als ich zwölf war?« Ich erklärte kurz den 7-Jahres-Zyklus. Dann fragte ich ihn, ob er erkannte, dass sich die Lebensumstände aus seiner Vergangenheit im Leben seiner Tochter wiederholten. Ob er sehen könne, dass sein Weggang nach der Scheidung ein Wiederholungsmuster war, das sich in ihrem Leben abspielte? Er antwortete, dass er sich bis zu diesem Augenblick nicht bewusst gewesen war, dass der Zustand seiner Tochter irgendetwas mit seiner schwierigen Jugend zu tun haben könnte.
    Bis heute glaube ich, dass Clive erst wirklich verarbeitet hat, was ich über »emotionale Prägung« und die Natur des 7-Jahres-Zyklus gesagt hatte, als er selbst den Prozess abgeschlossen hatte. Ich denke, dass er anfangs meinem Ansatz, zuerst seine Erfahrung zu integrieren und nicht mit seiner Tochter zu arbeiten, nur zugestimmt hat, weil er verzweifelt war und weil ich, ebenso wie er, mit der Lage von Nadine nicht besonders glücklich war. Für ihn war es auch eine bedeutende Einsicht, die Verbindung zwischen der aktuellen Lage seiner Tochter und seinem eigenen, nicht integrierten emotionalen Zustand
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