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Die Konkubine

Die Konkubine

Titel: Die Konkubine
Autoren: Petra Gabriel
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Die Soldaten, die seit zwei Jahren in Ostasien Dienst taten, durften mit diesem Transporter wieder heim. Die Offiziere bekamen neues Menschenmaterial, das sie drillen, an dem sie schleifen konnten. Der Kruppstahl wurde von Kulis mühsam ausgeladen und den Festungsberg hinaufgekarrt. Die Missionars- und Offiziersfrauen, die Gattinnen der Geschäftsleute und ihre Töchter warteten auf das Schiff aus der Heimat, weil es Schnittmuster für Kleider nach der neuesten Mode brachte und Lebensmittel, die nach Zuhause rochen und schmeckten.
    Konrad hatte aus China immer wieder an seine Schwester Martha in Berlin geschrieben, damals noch an die Adresse Weißenburger Straße 9. Es gab sie nicht mehr. Sie hieß jetzt Kollwitzstraße und war völlig verändert. Im letzten Jahr, während der Recherchen zur Geschichte ihres Großvaters in Berlin, war sie dort gewesen – in der Hoffnung, sich besser vorstellen zu können, wie er gelebt hatte. Die Häuser des Straßenzugs im Stadtteil Prenzlauer Berg in der Nähe des Sennefelder Platzes hatten den Bombenhagel wohl nicht überlebt.
    Einige der Briefe existierten noch, Worte, in einer säuberlichen Sütterlinschrift zu Papier gebracht; die Formulierungen eines heimwehkranken und die Beschreibungen eines staunenden jungen Mannes. Er hatte außerdem um Geld für den Kauf eines guten Fotoapparates gebeten und im Tausch chinesische Seide nach Berlin geschickt. Seine Schwester war Wäscherin und Schneiderin.
    Aus der einstigen Musterstadt Tsingtau war längst die boomende Großstadt Qingdao mit rund dreieinhalb Millionen Einwohnern geworden, rund hunderttausend davon Koreaner, einer der mondänsten Badeorte der Volksrepublik China und einer der größten Häfen des Landes.
    Sie sah zu ihrem Mann hinüber. Doch, die Teeschale würde ihr helfen, sich in dieser Stadt zurechtzufinden, die Fäden aufzunehmen, die aus der Vergangenheit in die Gegenwart reichten.
    «Ich werde sie mitnehmen», sagte sie bestimmt.
    «Das ist völlig unvernünftig», beharrte er. «Sie wird mit Sicherheit nicht anfangen zu blinken, wenn du zufällig an einen Ort kommst, an dem dein Großvater damals war. Du kannst sie außerdem nicht ständig mit dir herumschleppen. Sie wird dir nur gestohlen.»
    Sie schaute ihn groß an. Woher nahm er nur manchmal diese Intuition? «Doch, sie wird blinken», erwiderte sie. Ihr Gesicht blieb ernst.
    Er sah, dass sie nicht scherzte. «Mit dir ist einfach nicht zu reden», seufzte er und stapfte aus dem Zimmer.
    Sie lächelte ihm hinterher, sie würde ihn vermissen.
    Ihre Gedanken wanderten zurück zu dem blonden jungen Mann mit Augen so blau und durchsichtig wie die Meeresoberfläche bei Sonnenschein, der vor mehr als hundert Jahren an der Reling des Dampfschiffes gestanden hatte, über sich eine Fahne von schwarzem Rauch, aus der Ruß auf das Deck regnete und die dann durch den Fahrtwind im wolkenlosen Himmel verwehte. Doch er ignorierte den Ruß. Sein Blick hing an der Silhouette von Tsingtau. Er sah, wie auf dem Signalberg der Wimpel hochgezogen wurde, und hörte, wie die Schiffssirene die Ankunft des Dampfers hinaustrompetete. Sampans und weiße Pinassen lösten sich vom Ufer, um die Ankömmlinge zu begrüßen, Geschäfte zu machen oder Waren aufzunehmen.
    Vielleicht war sogar eine blaue Admiralspinasse dabei, um einen Marineoffizier abzuholen und zum Gouverneur zu bringen.
    «Wo wirst du eigentlich wohnen? Habe ich die Adresse?», fragte er aus dem Wohnzimmer.
    «Nein, noch nicht. Ich schreibe sie dir auf. Ich habe ein Zimmer im Golden Hotel auf dem Campus der Haiyang Daxue, der Meereskundlichen Universität», erwiderte sie. Und damit auf jenem Gelände, auf dem noch immer die Bauten der Bismarck-Kaserne stehen sollten, fast unverändert seit damals. Dort hatte sich Konrad Gabriel mit anderen Soldaten für kurze Zeit eine Stube geteilt. Dort konnte sie den roten Faden aufnehmen.
    «Vergiss es aber nicht», kam die Antwort.
    «Nein, bestimmt nicht. Außerdem habe ich meinen Laptop dabei und auf dem Campus gibt es Internet-Anschluss. Es ist ja auch noch einige Tage Zeit.»
    Sie hob die Schale noch einmal hoch. «Ich komme», murmelte sie leise. Dann wickelte sie das Porzellan in einen seidenen Schal und legte es sanft in den Koffer.
    Als sie nach gut zehn durchwachten Stunden im Flugzeug von Paris aus in Peking ankam, war ihr Gepäck verschwunden. Sie reiste trotzdem weiter nach Qingdao. Drei Tage später bekam sie dort ihren Koffer wieder, ebenfalls per Flug – aus Seoul, Korea.
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