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Die Konkubine

Die Konkubine

Titel: Die Konkubine
Autoren: Petra Gabriel
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erreichte. Egal, ob die Beschreibungen nun stimmten oder nicht, als Kind hatte sie solche Erzählungen verschlungen.
    Die Reisenden des beginnenden 20. Jahrhunderts konnten sich in Berlin in den Zug Richtung Sibirien setzen. Ab Irkutsk fuhren sogar Luxuszüge mit Schlafwagen. Einmal um die halbe Welt in 47 Tagen, wenn alle Anschlüsse klappten. Es gab noch einen anderen Weg gen Osten: auf einem Reichspostdampfer ab Bremen oder Hamburg, dann Genua, Port Said, Suez, Aden, Penang, Singapur, Hongkong und schließlich Schanghai. Jeder einzelne dieser Namen weckte in ihr erneut die Sehnsucht nach der großen weiten Welt. Es waren Namen, die sie an alte Filme erinnerten. Sie stellte sich Frauen in knöchellangen, luftigen Kleidern mit Wespentaillen und kunstvoll hochgesteckten Haaren vor, die beim Ausflug aufs Sonnendeck ihre Hüte festhalten mussten, damit der Wind sie nicht fortblies. Manche sollten in China ihren künftigen Ehemann kennenlernen. Andere saßen abends mit ihren Männern beim festlichen Diner. Danach zogen sich die Herren in den Rauchsalon zurück und debattierten bei kubanischen Zigarren und schottischem Whisky über die verhaltene, eher ökonomisch orientierte Ostasienpolitik des ehemaligen Reichskanzlers Bismarck. Wenn sie sich die Szene vorstellte, hatte sie einen älteren Bankangestellten aus Berlin vor Augen, der bedächtig den Rauchringen seiner Zigarre nachgeschaut und erklärt hatte: «Ick fände et bessa, wir würdn Jeschäftsleute schickn statt Soldaten. So wie der Bismarck. Et is weitaus billiga, den Markt zu erobern als det halbe Land.»
    Ein hagerer Kaufmann in mittleren Jahren hatte daraufhin die Stirn gerunzelt. «Ich halte es mit von Bülow, der einmal vor dem Reichstag gesagt hat:     «Quatsch», brummte der Ältere, «allet viel zu teuer. Unsummen jebense für die sojenannte Musterkolonie aus. Wat solln wa denn in China außer unsere Waren verkofen? Unsere Weisheiten verbreiten? Jut, aba dafür brauchn wir keen Pachtjebiet. Jrößenwahn ist det. Und det sage ick, obwohl meine Bank mit der Ausrüstung der Pazifikflotte, dem Lieblingsspielzeuch von Willem Zwo, jute Jeschäfte macht.»
    Der Hagere musterte sein Gegenüber. «Sie wollen den Kaiser belehren? Haben Sie denn nicht gelesen, was der Geologe Ferdinand von Richthofen nach seinen Chinareisen schrieb, welche Möglichkeiten sich uns dort bieten? Denken Sie nur an die Kohlevorkommen.»
    Der Bankangestellte zog eine Augenbraue hoch. Er gab keine Antwort.
    Es musste eine Zeit der Hoffnungen gewesen sein. Und der Illusionen. Des leichten Lebens. Und der Gewalt.
    Der Gefreite Konrad Gabriel war nicht so komfortabel wie die Passagiere der Postdampfer nach China gereist. Im Rumpf eines Truppentransporters blieb kein Raum für die Bequemlichkeit eines einfachen Soldaten. Es war oft stickig unter Deck, stank nach Fürzen und Schweiß, nach Kohle und Meer. Die unterschiedlichsten Männer hausten dort zusammengepfercht: große und kleine, die Ängstlichen, die sich in die Ecken drückten und es kaum wagten, leise zu rülpsen; die groben Klötze, die sich schon aufgrund ihrer schieren Körperlichkeit ungeniert ausbreiteten und nachts dröhnend schnarchten. Wenn es stürmte, wenn die Luken und Stahltüren geschlossen blieben, waren sie einander und ihren Ausdünstungen ebenso ausgeliefert wie dem Schwanken und Rollen des Schiffes, dem Klagelied der Wanten und Nieten, dem Stampfen der Maschinen. Die Kisten in den Laderäumen zerrten dann an den Befestigungstauen und drohten zu verrutschen. Waffen waren darin, Munition, Sprengpulver. Die Transporter aus Deutschland hatten außerdem tonnenschwere Teile aus Kruppstahl für die Festungsanlagen, Kaffee, Käse, Weinfässer, manchmal ganze Fertighäuser geladen.
    Und dann, endlich, verkündeten die Flaggen auf dem Signalberg von Tsingtau die Ankunft des Schiffes. Für die Kolonen musste das in den Anfangsjahren ein wenig wie Weihnachten gewesen sein. Später kamen viele Dampfer aus aller Herren Länder, und es wurde zur Gewohnheit. Dennoch blieb die Ankunft eines Transportdampfers aus der Heimat ein besonderes Ereignis.
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