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Die kleine Schwester

Die kleine Schwester

Titel: Die kleine Schwester
Autoren: Raymond Chandler
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sind bezahlt worden«, sagte sie scharf. »Gut bezahlt. Von Leila. Und glauben Sie nicht, daß ich sie Mavis Weld nennen werde. Fällt mir nicht ein.«
    »Sie haben nicht gewußt, daß ich woanders bezahlt werde.«
    »Meinetwegen« - eine lange Pause folgte, während der ihre Augen wieder zu der Tasche wanderten - »aber bezahlt worden sind Sie.«
    »Na ja, lassen wir das. Warum wollten Sie mir nicht sagen, wer sie war?«
    »Ich schämte mich. Mutter und ich, wir schämten uns beide.«
    »Orrin nicht. Der war Feuer und Flamme.«
    »Orrin?« Wieder so ein reinliches, kleines Schweigen, während sie zur Tasche rübersah. Allmählich war ich schon neugierig auf die Tasche. »Der war nun mal hier und wird sich wohl daran gewöhnt haben.«
    »So schlimm ist das doch nicht, wenn man beim Film ist.«
    »Das war ja nicht alles«, sagte sie rasch, ihr Zahn senkte sich auf den äußeren Rand ihrer Unterlippe, und etwas blitzte in ihren Augen auf und verlosch langsam. Ich zündete meine Pfeife wieder an. Ich war viel zu müde, um ein Gefühl zu zeigen, selbst wenn ich eines hatte.
    »Ich weiß. Oder jedenfalls habe ich es irgendwie erraten. Wie hat Orrin etwas über Steelgrave herausgefunden, was die Polizei nicht wußte?«
    »Ich - ich weiß nicht«, sagte sie langsam. Sie tastete sich durch die Worte wie eine Katze auf Zaunspitzen. »Vielleicht durch diesen Doktor?«
    »Aber ja«, sagte ich, mit breitem, warmem Lächeln. »Er und Orrin wurden Freunde.
    Wahrscheinlich das gemeinsame Interesse für spitze Werkzeuge.«
    Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück. Ihr kleines Gesicht war jetzt dünn und eingefallen. Ihre Augen hatten einen wachsamen Blick.
    »Jetzt sind Sie wieder gemein«, sagte sie. »Sie müssen ja immer wieder mal gemein sein.«
    »So ein Jammer«, sagte ich. »Ich wäre ein liebenswerter Mensch, wenn ich mich selbst in Ruhe ließe. Hübsche Tasche.« Ich griff nach ihr, zog sie an mich und machte sie auf.
    Sie sprang auf und machte einen Satz auf mich zu.
    »Lassen Sie die Finger von meiner Tasche!«
    Ich sah ihr geradewegs auf die randlose Brille. »Sie wollen nach Hause fahren, nach Manhattan, Kansas, nicht wahr? Gleich heute? Haben Sie Ihre Fahrkarte und alles?«
    Sie biß sich die Lippen und setzte sich langsam wieder hin.
    »Okay«, sagte ich. »Ich halte Sie nicht auf. Bloß wissen möchte ich, wieviel Zaster Sie bei dieser Affäre rausgequetscht haben.«
    Sie begann zu weinen. Ich öffnete die Tasche und wühlte sie durch. Da war nichts, bis ich an die Seitentasche mit Reißverschluß kam. Ich zog sie auf und griff hinein. Ein flaches Päckchen von neuen Scheinen war drin. Ich nahm es raus und blätterte. Zehn Hunderter. Alle neu. Alle hübsch. Glatte tausend Dollar. Hübsches Reisegeld.
    Ich lehnte mich zurück und klopfte mit dem Rand des Päckchens auf die Tischplatte.
    Sie saß ruhig da, starrte mich mit nassen Augen an. Ich nahm ein Taschentuch aus ihrer Tasche und warf es ihr rüber. Sie betupfte ihre Augen. Sie beobachtete mich an dem Taschentuch vorbei. Hin und wieder kam ein hübscher, kleiner, flehentlicher Seufzer aus ihrer Kehle.
    »Leila hat mir das Geld gegeben«, sagte sie leise.
    »Was für ein Stemmeisen haben Sie dafür gebraucht?«
    Sie machte ihren Mund auf, und eine Träne lief über ihre Wange runter und hinein.
    »Lassen wir das«, sagte ich. Ich ließ das Geldbündel in die Tasche fallen, schnappte die Tasche zu und schob sie zu ihr rüber. »Mir scheint, Sie und Orrin gehören zu der Sorte von Leuten, die sich selbst weismachen können, daß alles richtig ist, was sie tun.
    Er kann seine Schwester erpressen, und dann, wenn ein paar kleine Gangster ihm auf die Schliche kommen und ihm das Geschäft vermasseln, ist er fähig, sich an sie ranzumachen und sie mit einem Eisdorn umzulegen. Wahrscheinlich hat es ihn noch nicht einmal den Schlaf gekostet in der Nacht darauf. Sie bringen fast dasselbe fertig.
    Leila hat Ihnen das Geld nicht gegeben. Steelgrave hat es gegeben. Wofür?«
    »Sie Saukerl«, sagte sie. »Sie gemeiner Hund. Was fällt Ihnen ein, so was zu mir zu sagen!«
    »Wer hat die Polypen davon verständigt, daß Dr. Lagardie Clausen kannte? Lagardie glaubte, ich sei es gewesen. Aber ich war's nicht. Also waren Sie es. Warum? Um Ihren Bruder auszuräuchern, der nicht teilen wollte - weil er gerade sein Spiel verloren hatte und sich verstecken mußte? Ich möchte gern mal ein paar von den Briefen sehen, die er nach Hause geschrieben hat. Da gibt's sicher was zu lesen. Ich
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