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Die Ketzerbraut. Roman

Titel: Die Ketzerbraut. Roman
Autoren: Iny Lorentz
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trieb, und trat aus der Kammer. Sein Kumpan zog sich ebenfalls zurück, und Veva hörte, wie außen der Riegel vorgelegt wurde.
    Erleichtert, dass sie die Hände gebrauchen und sich waschen konnte, packte Veva den Lappen, tauchte ihn in das Wasser und begann sich mit heftigen Bewegungen den Oberkörper abzureiben. Dann versuchte sie, ihr Kleid zu reinigen, doch der Stoff riss noch weiter ein, und sie hatte keine Möglichkeit, das Mieder vorne zu schließen. Zudem stank der Stoff erbärmlich. Dennoch zögerte sie, das Kleid abzulegen und das andere anzuziehen, denn sie fürchtete, die Räuber würden vor der Tür warten, bis sie fast nackt in der Kammer stand, um dann über sie herzufallen.
    Sie trat auf Zehenspitzen zur Tür und lauschte, ob sie jemanden atmen hörte oder das Rascheln von Kleidung vernahm. Doch die Räuber schienen sich in entfernteren Teilen der Höhle aufzuhalten. Mutiger geworden schlüpfte sie aus ihrem alten Kleid und zog das andere über. Zuerst achtete sie nicht darauf, was sie trug, sondern war froh, dass ihr Busen wieder verhüllt war. Dann aber fühlte sie kühlen, knisternden Stoff unter den Fingern und sah an sich herab. Das Gewand war aus brauner, gemusterter Seide gefertigt worden, hatte rosafarbene Ärmel und wurde vorne auf der Brust mit einer seidenen Schnur zusammengehalten. So etwas trug gewöhnlich nur eine Dame von Stand.
    Verwundert fragte sie sich, warum die Räuber ihr solch ein wertvolles Gewand überlassen hatten, und schauderte. Welches Schicksal musste die Besitzerin dieses Kleids erlitten haben? Der Gedanke, das Gewand einer Ermordeten zu tragen, brannte sich wie Säure in sie hinein, und sie hätte sich das Ding am liebsten vom Leib gerissen. Doch ein Blick auf die stinkenden, zerfetzten Lumpen, die einmal ihr Kleid gewesen waren, hielt sie davon ab.
    Da die Unschlittlampe diesmal länger brannte und ihre Augen nicht mehr halb blind vor Tränen waren, entdeckte sie auf der anderen Seite des Raums ein einfaches Lager aus Zweigen und einer Decke. Sie setzte sich darauf, schlang die Arme um die Knie und wartete auf das, was nun kommen würde. Hoffnung, lebend davonzukommen, hatte sie keine mehr, und sie glaubte auch nicht, dass die Räuber davon absehen würden, sie zu missbrauchen. Sie rettete sich wieder ins Gebet und flehte die Heilige Jungfrau an, sich ihrer Seele anzunehmen und sie nach dem Tod ins Himmelreich zu geleiten. Auch betete sie das Totengebet für ihren Bruder und die anderen armen Kerle, die mit ihm umgekommen waren.

6.
    Z ur gleichen Zeit, in der Veva in ihrem Gefängnis gegen ihre Verzweiflung ankämpfte, herrschte auf dem Schrannenplatz in München fröhliches Treiben. Gerade war das Turnier zu Ende gegangen, in dem etliche Ritter ihre Kräfte auf der Stechbahn gemessen hatten, und nun strömten die Leute auf die freie Fläche, um zu tanzen. Dabei machte so mancher junge Mann den Mädchen schöne Augen und anzügliche Komplimente. Währenddessen saß Herzog Wilhelm IV . zusammen mit seinen Edlen auf der für ihn errichteten Bühne vor dem Rathaus, ließ sich Wein und Braten reichen und sah den feiernden Menschen amüsiert zu.
    Ein Mann in einem dunklen Talar trat mit Leichenbittermiene auf den jungen Herzog zu, dessen Locken unter einem dreifarbigen, mit Federn besetzten Barett bis auf den Pelzkragen seines kurzen Samtrocks fielen. »Findet Ihr nicht auch, dass die Leute zu ausgelassen sind, Euer Gnaden?«
    »Warum sollen die Menschen sich nicht auch einmal freuen? Das Leben ist schließlich hart genug«, antwortete der Herzog mit einer Gegenfrage, die dem Kirchenmann die Röte ins Gesicht trieb.
    »Dieses Treiben leistet der Völlerei und der Unmoral Vorschub, Euer Gnaden. In ein paar Monaten werden etliche Weiber mit dicken Bäuchen herumlaufen. Die meisten sind nicht einmal verheiratet, und wenn sie es sind, wird der Vater nicht der eigene Ehemann sein.«
    Der Sprecher behielt einen jungen Mann im Auge, der seit dem Augenblick, in dem er auf ihn aufmerksam geworden war, bereits mit der dritten Frau schäkerte. Es war eine Weberfrau, die zwar fleißig in die Kirche ging, dort aber vieles zu beichten hatte, von dem ihr Ehemann nichts wissen durfte.
    Herzog Wilhelm wusste wohl, dass auch der eine oder andere seiner Höflinge schon intime Bekanntschaft mit der Weberin geschlossen hatte. Das berührte ihn jedoch weniger als das Verhalten einiger Herren in geistlichem Gewand. Die Kleriker drohten dem Volk Höllenstrafen für unkeusches Verhalten an,
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