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Die Katze im Taubenschlag

Die Katze im Taubenschlag

Titel: Die Katze im Taubenschlag
Autoren: Agatha Christie
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ärgerliches Rot stieg in Ali Yusufs Wangen.
    »Was? Ich soll in eurer Botschaft Schutz suchen? Ausgeschlossen! Dann würden die Rebellen wahrscheinlich das Haus stürmen, denn diplomatische Immunität bedeutet diesem Gesindel nichts. Und abgesehen davon wäre gerade das für mich unmöglich, da man mir ja dauernd vorwirft, dass ich zu stark westlich orientiert sei.« Er seufzte tief. »Mir ist das alles unbegreiflich, Bob…« Er war verwirrt und unsicher, und man hätte ihn in diesem Augenblick jünger als fünfundzwanzig Jahre geschätzt.
    »Mein Großvater war ein grausamer Herrscher, ein echter Tyrann. Er besaß Hunderte von Sklaven, die er schlimm behandelte. Im Krieg mit benachbarten Stämmen wurden die gefangenen Feinde unbarmherzig gefoltert und hingerichtet. Alle zitterten, wenn sein Name nur erwähnt wurde. Und doch ist er zur Legende geworden. Noch jetzt wird er bewundert und verehrt. Achmed Abdullah der Große! Und ich? Was habe ich getan? Ich habe Wohnhäuser, Schulen und Krankenhäuser gebaut, meinem Volk alle Wünsche erfüllt. Und was ist der Dank? Würden sie eine Schreckensherrschaft wie die meines Großvaters vorziehen?«
    »Es sieht so aus – höchst unfair, aber was kann man tun?«, erwiderte Bob Rawlinson.
    »Aber warum, Bob? Warum?«
    Bob Rawlinson seufzte. Es fiel ihm nicht leicht, seine Gefühle in Worten auszudrücken.
    »Er – er hat es verstanden, sich in Szene zu setzen, er war – wie soll ich das nur erklären –, er war so dramatisch.«
    Bob betrachtete seinen Freund Ali, der keineswegs dramatisch war. Ali war ein lieber, anständiger Kerl, ruhig und zuverlässig, und deshalb hatte Bob ihn gern. Ali hasste es aufzufallen, und brutale Gewalt ging ihm, wie den meisten Menschen in England, gegen den Strich. Leider schien man von einem orientalischen Herrscher ein Gemisch von Brutalität und Prunk zu erwarten.
    »In einem demokratischen Staat …«, begann Ali.
    »Demokratie!« Bob schwenkte verächtlich seine Pfeife. »Dieses Wort bedeutet heutzutage in jedem Land etwas anderes, aber niemals das, was die Griechen ursprünglich darunter verstanden haben. Falls sie dich wirklich absetzen wollen, wird sich irgendein aufgeblasener Frosch zum Staatsoberhaupt ernennen, alle umbringen, die es wagen, anderer Meinung zu sein als er, und von einer demokratischen Regierung sprechen. Wahrscheinlich wird es dem Volk sogar gefallen. Das Blut wird in Strömen fließen, und für Abwechslung und Aufregung wird gesorgt sein.«
    »Aber wir sind doch keine Wilden! Wir sind zivilisierte Menschen!«
    »Es gibt verschiedene Arten von Zivilisation«, entgegnete Bob zögernd. »Ich persönlich glaube, dass die meisten von uns im Grunde genommen noch Barbaren sind.«
    »Vielleicht hast du Recht«, erwiderte Ali düster.
    »Gesunder Menschenverstand ist heute nicht mehr gefragt«, erklärte Bob. »Du weißt ja selbst, dass ich kein Geistesheroe bin, Ali, aber ich bin überzeugt davon, dass der Welt nichts fehlt außer ein bisschen Vernunft.« Er legte seine Pfeife hin und richtete sich auf.
    »Doch das alles ist jetzt unwichtig, im Moment kommt es nur darauf an, dich sicher aus dem Land zu schaffen. Kannst du dich wenigstens auf einige deiner Offiziere verlassen?«
    Prinz Ali Yusuf schüttelte traurig den Kopf.
    »Noch vor zwei Wochen hätte ich diese Frage bejahen können, aber heute – heute bin ich leider nicht mehr ganz so sicher.«
    Bob nickte verständnisvoll.
    »Tieftraurig – und in deinem Palast fühlt man sich auch höchst unbehaglich.«
    »Spione gibt es in allen Palästen«, stellte Ali unbewegt fest. »Sie hören alles, sie wissen alles.«
    »Selbst unten beim Flugzeugschuppen…«, Bob unterbrach sich. »Dem alten Achmed bleibt nichts verborgen, er muss einen sechsten Sinn haben. Er hatte neulich das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte, ging zu deinem Flugzeug und hinderte einen Mechaniker, den wir bisher für vertrauenswürdig gehalten hatten, daran, den Motor zu beschädigen. Wie dem auch sei, wenn wir versuchen wollen, dich mit heiler Haut hier herauszuschmuggeln, müssen wir es sehr bald tun.«
    »Ich weiß, ich weiß. Wenn ich bleibe, werden sie mich ermorden.« Er sprach ohne Zeichen von Erregung oder Panik, fast als handelte es sich um einen anderen.
    »Ich muss dich warnen, Ali! Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass wir es nicht schaffen. Du weißt, dass allein die nördliche Route infrage kommt, weil wir nur dort vor Angriffen der Jagdflugzeuge sicher sind. Leider ist es um
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