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Die Kartause von Parma

Die Kartause von Parma

Titel: Die Kartause von Parma
Autoren: Stendhal
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siebzehn Jahre alt war, hatte ich beinahe ein Duell wegen Chateaubriands ›Atala‹. Nie habe ich die ›Chaumière indienne‹ (von Bernardin de Saint-Pierre) gelesen. De Maistre kann ich nicht ausstehen. Meine Verachtung Laharpes geht bis zum Haß. Ohne Zweifel aus übertriebener Liebe zur Logik bin ich ein so schlechter Schriftsteller. Mein Homer sind die ›Denkwürdigkeiten‹ des Marschalls Gouvion-Saint-Cyr.Montesquieu und die ›Totengespräche‹ von Fontenelle halte ich für gut geschrieben. Es ist keine vierzehn Tage her, daß ich beim Wiederlesen von ›Aristonous‹ oder ›L'esclave d'Alcine‹ geweint habe. Abgesehen von Madame de Murdauff und ihrem Kreise, etlichen Romanen der George Sand und den in Zeitungen erschienenen Novellen von Soulié, habe ich von der schönen Literatur der letzten dreißig Jahre nichts gelesen. Oft lese ich Ariost, dessen Gesänge ich liebe. Die Duchezza (di Sanseverina) ist eine Kopie nach Correggio, womit ich sagen will, sie wirkt auf meine Seele genau so wie Correggio.
    Während ich die ›Kartause‹ schrieb, habe ich jeden Morgen, um den Ton zu stimmen, zwei, drei Seiten im Bürgerlichen Gesetzbuch gelesen. Ich wollte immer natürlich sein. Ich will die Phantasie des Lesers nicht mit unechten Mitteln gewinnen. So ein armer Leser läßt zunächst alle hochtrabenden Floskeln über sich ergehen, zum Beispielden ›Wind, der die Wogen entwurzelt‹; aber wenn die Spannung vorüber ist, wird er jene Redensarten nicht wieder los. Im Gegensatz dazu will ich, der Leser soll an die Gestalt des Grafen Mosca denken und nicht an irgendwelches Drum und Dran. Aber man soll seinem Arzt nichts verheimlichen. Oft überlege ich mir eine Viertelstunde lang, ob ich ein Eigenschaftswort vor oder hinter sein Hauptwort stelle. Ich suche mit Wahrheit und Klarheit zu erzählen, was in meinem Herzen vorgeht. Ich sehe nur auf ein Gesetz: Klar sein!
    Ich will berichten, was sich im Seelengrunde Moscas, der Duchezza, der Clelia Conti abspielt. Das ist ein Gebiet, für das Parvenüs, Schulmeister, Bürokraten, Krämer und Spießbürger sowieso den rechten Blick nicht haben. Wenn ich so schwer faßbare Materien im verschwommenen Stile eines Villemain, einer George Sand usw. darstellen wollte – vorausgesetzt, daß ich das seltene Privileg besäße, so zu schreiben wie diese Koryphäen der schönen Form –, wenn ich also zu der psychologischen Schwierigkeit die Unklarheit dieses gepriesenen Stils gesellen wollte, so verstünde der Leser absolut nichts vom Konflikt zwischen der Duchezza und Serenissimus.
    In fünfzig Jahren werden die schwülstig-eleganten Modedichter und Modeprosaisten langweilig wirken. Im Jahre 1880 wird man von der schönen Form übersättigt sein. Vielleicht wird man dann die ›Kartause‹ lesen. Ich wiederhole: sie ist wie das Bürgerliche Gesetzbuch geschrieben.
    Sie haben sehr richtig herausgefunden, daß mein Roman keine der Großmächte karikiert, weder Frankreich noch Spanien noch Österreich. Dies erkennt man schon an gewissen administrativen Einzelheiten. Bleiben die Duodezfürsten in Deutschland und in Italien. Die Deutschen liegen vor Orden und Titeln auf den Knieen. Ich habe jahrelang unter ihnen gelebt. Meine Hauptgestalten sind keine Deutschen. Verfolgen Sie diesen Gedankengang weiter, und Sie werden finden, daß ich eine erloschene Dynastie im Sinne gehabt habe, etwa die der Farnese.
    Ich nehme mir eine gut bekannte Person, lasse ihr die zur Gewohnheit gewordene individuelle Art in der Kunst, alle Morgen auf die Jagd nach dem Glück zu gehen, nur verleihe ich ihr mehr Geist. Rassi hat sein Urbild in einem Deutschen, mit dem ich zweihundertmal gesprochen habe. Das Urbild des Fürsten (Ernst IV.) habe ich während meines Aufenthalts in Saint-Cloud studiert, in den Jahren 1810 und 1811.‹
    Man hat behauptet, Stendhal habe in seinem Serenissimus den Herzog Franz IV. von Modena gezeichnet und im Grafen Mosca den Grafen Saurau, den Statthalter der damals österreichischen Lombardei. Und ein gelehrter Stendhal-Forscher (der Professor Arthur Chuquet) hat im Anhange seiner Stendhal-Biographie sogar den Lebenslauf des Leutnants Robert beigebracht, dessen in Mailand getragene oder vielmehr abgetragene Stiefel unsterblich geworden sind. Allerdings hat der historische Robert nicht das Vergnügen gehabt, am Tage von Waterloo als General im Stabe des Fürsten von der Moskwa über das Schlachtfeld zu reiten.
    Mosca hat seinen Ahnherrn deutlich in Machiavell; bereits Balzac hat
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