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Die Kartause von Parma

Die Kartause von Parma

Titel: Die Kartause von Parma
Autoren: Stendhal
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das Herz vor Erregung bei jedem Langweiligen, der den Salon betrat. Endlich meldete man Gonzo, der auf den ersten Blick sah, daß er acht Tage lang der Unentbehrliche sein werde. ›Die Marchesa ist eifersüchtig auf die kleine Marini. Auf Ehre, das gibt eine regelrechte Komödie,‹ sagte er sich, ›in der die Marchesa die Hauptrolle spielt, die kleine Annetta die Intrigantin und Monsignore del Dongo den Verliebten. Donnerwetter, die Eintrittskarte wäre mit einem Taler nicht zu hoch bezahlt!‹ Seine Freude kannte keine Grenzen, und den ganzen Abend ließ er keinen Menschen zu Worte kommen. Er erzählte die albernsten Anekdoten. Die Marchesa litt es nicht auf ihrem Stuhl; sie lief im Zimmer umher und ging in eine daran stoßende Galerie, wo der Marchese nur Gemälde hatte aufhängen lassen, von denen keines unter zwanzigtausend Franken gekostet hatte. Diese Bilder sprachen an jenem Abend eine so deutliche Sprache, daß sie das Herz der Marchesa durch ein Übermaß von Erregung ermüdeten. Endlich hörte sie, daß beide Flügeltüren geöffnet wurden. Sie eilte in das Empfangszimmer. Es war die Marchesa Raversi! Als Clelia ihr die üblichen Begrüßungsworte sagte, merkte sie, daß ihre Stimme versagte. Die Raversi mußte ihre Frage zweimal wiederholen: »Was sagen Sie zu unserm Modeprediger?« Clelia hatte diese Frage das erste Mal überhört.
    »Ich habe ihn«, fuhr die Raversi fort, »für einen kleinen Ränkeschmied gehalten, für den würdigen Neffen der berühmten Gräfin Mosca. Aber das letzte Mal, als er predigte, denken Sie, in der Kirche della Visitazione, schrägüber von hier, da war er so erhaben, daß ich allen Haß vergessen habe und ihn für den beredtesten Mann ansehe, den ich je gehört habe.«
    »So haben Sie also einer seiner Predigten beigewohnt?« fragte Clelia, am ganzen Leibe vor Glück bebend.
    »Aber verstehen Sie mich denn nicht?« fragte die Raversi lachend. »Ich möchte ihn um alles in der Welt nicht missen. Man sagt, er sei lungenleidend und werde bald nicht mehr predigen.«
    Kaum war die Marchesa Raversi wieder fort, als Clelia Gonzo in die Galerie rief.
    »Ich bin fast entschlossen,« sagte sie zu ihm, »mir diesen hoch gepriesenen Prediger einmal anzuhören. Wann predigt er wieder?«
    »Nächsten Montag, also in drei Tagen. Man könnte beinahe sagen, daß er die Absicht Eurer Exzellenz ahnt. Er wird nämlich in der Kirche della Visitazione predigen.«
    Noch war nicht alles beredet, aber Clelia brachte kein Wort mehr heraus. Stumm ging sie fünf- oder sechsmal in der Galerie hin und her. Gonzo sagte sich: ›Das ist Rachsucht, die sie quält! Wie kann man aber auch so unverschämt sein und aus einem Kerker entweichen, zumal wenn man die Ehre hat, von einem Helden wie dem General Fabio Conti bewacht zu werden!‹ »Übrigens«, fuhr er mit feiner Ironie laut fort, »hat die Sache Eile; er ist brustkrank. Ich habe den Doktor Rambo sagen hören, er hätte kein Jahr mehr zu leben. Gott straft ihn, weil er sich der Gerichtsbarkeit durch seine verräterische Flucht aus der Zitadelle entzogen hat.«
    Die Marchesa setzte sich auf einen Diwan in der Galerie und gab Gonzo einen Wink, ihrem Beispiel zu folgen. Kurz darauf gab sie ihm eine kleine Börse, in die sie etliche Zechinen hineingesteckt hatte. »Lassen Sie vier Plätze für mich belegen!«
    »Wird es dem armen Gonzo erlaubt sein, sich dem Gefolge Eurer Exzellenz anzuschließen?«
    »Natürlich! Also fünf Stühle! Übrigens lege ich keinen Wert darauf,« fügte sie hinzu, »nahe an der Kanzel zu sitzen. Ich möchte gern die Signorina Marini sehen. Sie soll so hübsch sein.«
    Die Marchesa war in den drei Tagen bis zu dem berühmten Montag, dem Tage der Predigt, halbtot. Gonzo, für den es eine ganz besonders hohe Ehre war, öffentlich im Gefolge einer so vornehmen Dame zu erscheinen, hatte zu seinem Hoffrack den Degen angelegt. Mehr noch, er benutzte die Nähe des Palazzos, um für die Marchesa einen prächtigen vergoldeten Lehnstuhl in die Kirche tragen zu lassen, was die Spießbürger grenzenlos anmaßend fanden. Man kann sich denken, wie es der armen Marchesa zumute war, als sie diesen Lehnstuhl erblickte, den man noch dazu gerade der Kanzel gegenüber aufgestellt hatte. Clelia war völlig verwirrt. Mit niedergeschlagenen Augen schmiegte sie sich in eine Ecke ihres riesigen Lehnstuhles. Sie hatte nicht einmal den Mut, sich die kleine Marini anzusehen, auf die Gonzo mit beispielloser Dreistigkeit mit dem Finger zeigte. Alle
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