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Die Kartause von Parma

Die Kartause von Parma

Titel: Die Kartause von Parma
Autoren: Stendhal
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nichtadligen Geschöpfe galten in den Augen des Höflings durchaus nichts.
    Fabrizzio erschien auf der Kanzel. Er war so mager, so bleich, so abgezehrt, daß sich Clelias Augen sofort mit Tränen füllten. Fabrizzio sprach ein paar Worte, dann hielt er inne, als ob ihm plötzlich die Stimme versage. Vergeblich versuchte er, noch ein paar Sätze zu formen; er wandte sich um und ergriff einen beschriebenen Zettel.
    »Meine Brüder,« begann er, »eine unglückliche Seele, die euer innigstes Erbarmen wohl verdient, ersucht euch durch meinen Mund, für das Ende ihrer Qualen zu beten, die nur mit ihrem Leben enden!«
    Dann las er langsam den Zettel ab; aber der Klang seiner Stimme war so eigentümlich, daß die ganze Gemeinde mitten in seinem Gebet weinte, selbst Gonzo. ›Zum mindesten wird man mich nicht beobachten!‹ sagte sich die Marchesa, in Tränen ausbrechend.
    Während Fabrizzio seinen Zettel ablas, fand er zwei oder drei Gedanken über den Zustand des Unglücklichen, für den zu beten er die Gemeinde aufgefordert hatte. Baldkam ihm eine Flut von Einfällen. Obwohl es schien, als predige er zur Allgemeinheit, sprach er doch nur für Clelia. Er beendete seine Predigt ein wenig früher als gewöhnlich, weil ihn aller Anstrengung zum Trotz die Tränen so übermannten, daß er nicht mehr imstande war, die Worte deutlich auszusprechen. Man fand seine Predigt seltsam, aber in ihrem Pathos der berühmten Rede an jenem Abend, als die Kerzen brannten, zum mindesten ebenbürtig.
    Kaum hatte Clelia die ersten zehn Sätze des Gebets gehört, das Fabrizzio ablas, da erschien es ihr als eine schreckliche Sünde, daß sie Fabrizzio vierzehn Monate lang nicht gesehen hatte. Als sie heimkehrte, legte sie sich zu Bett, um ungestört an Fabrizzio denken zu können. Am anderen Tage erhielt Fabrizzio zu ziemlich früher Stunde folgende Zeilen:
    ›Ich rechne auf Ihre Ehrenhaftigkeit. Nehmen Sie vier Bravi, deren Verschwiegenheit Sie sicher sind, und finden Sie sich morgen im Augenblick, wenn es von der Steccata [La Steccata, von Bernardino Zaccagni, 1521 begonnen.]  Mitternacht schlägt, in der Via San Paolo ein, an der kleinen Pforte, die die Nummer neunzehn trägt. Denken Sie daran, daß man Sie angreifen kann; kommen Sie nicht allein!‹
    Als Fabrizzio die himmlischen Schriftzüge erkannte, sank er auf die Kniee und brach in Tränen aus: »Endlich,« rief er aus, »endlich, nach vierzehn Monaten und acht Tagen! Fahrt wohl, ihr Predigten!«
    Es wäre zu weitschweifig, alle die Narrheiten zu schildern, denen Fabrizzios und Clelias Herzen an jenem Tage zum Opfer fielen. Die kleine Pforte, die in dem Briefchen gemeint war, war keine andere als die der Orangerie des Palazzos Crescenzi. Den Tag über fand Fabrizzio allerlei Anlässe, zehnmal an ihr vorüberzugehen. Er steckte Waffen zu sich und ging kurz vor Mitternacht hastigen Schrittes allein an jener Pforte vorbei. Zu seiner namenlosen Freude hörte er eine wohlbekannte Stimme ganz leise flüstern: »Tritt ein, mein Herzensfreund!«
    Fabrizzio trat vorsichtig ein und sah sich wirklich in der Orangerie, aber vor einem vergitterten Fenster, das drei bis vier Fuß über dem Boden war. Tiefes Dunkel herrschte. Fabrizzio hörte am Fenster ein Geräusch und tastete mit der Hand nach dem Gitter. Da fühlte er eine andere, die sich ihm durch die Stangen entgegenstreckte, die seine ergriff und an sich zog, um sie an die Lippen zu führen.
    »Ich bin es,« sagte eine teure Stimme zu ihm, »ich bin hergekommen, um dir zu sagen, daß ich dich liebe, und um dich zu fragen, ob du mir gehorsam sein willst.«
    Die Antwort Fabrizzios, seine Freude und sein Erstaunen kann man sich vorstellen. Nach dem ersten Rausche sagte Clelia zu ihm:
    »Ich habe der Madonna gelobt, wie du weißt, dich nie wieder zu sehen. Deshalb empfange ich dich in diesem tiefen Dunkel. Wisse, wenn du mich je zwingst, dich am hellen, lichten Tage anzusehen, dann ist alles aus zwischen uns beiden. Und dann will ich nicht, daß du wieder vor Annetta Marini predigst. Glaube übrigens ja nicht, daß ich die Dummheit begangen habe, in das Haus Gottes einen Lehnstuhl tragen zu lassen.«
    »Mein lieber Engel, ich werde nicht wieder predigen, vor niemandem mehr. Ich habe nur gepredigt, in der Hoffnung, daß ich dich eines Tages wiedersähe!«
    »Sprich nicht so! Denke daran, daß ich dich nicht wiedersehen darf.« –
    Drei Jahre gingen dahin. Graf Mosca war längst nach Parma zurückgekehrt und als Pemierminister mächtiger denn je.
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