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Die Kapuzinergruft

Die Kapuzinergruft

Titel: Die Kapuzinergruft
Autoren: Joseph Roth
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noch kommen!« prophezeite meine Mutter. Meine Mutter sollte recht behalten.
    Wir wohnten nun alle in einem Haus, und es ging ziemlich gut. Meine Mutter tat mir sogar den Gefallen, ihre Gehässigkeiten zu unterlassen. Sie sprach nicht mehr vom »Juden«, sondern vom Doktor Kiniower, wie alle Jahre vorher. Er beharrte obstinat auf seiner Idee: Wir sollten eine Pension gründen. Er gehörte zu jenen sogenannten praktischen Menschen, die außerstande sind, eine sogenannte produktive Idee aufzugeben, auch wenn die Menschen unfähig sind, sie auszuführen. Er war ein Realist, das heißt: genauso hartnäckig, wie man es nur Phantasten nachzusagen pflegte. Er sah nichts mehr als die Nützlichkeit eines Projektes; und er lebte in der Überzeugung, daß alle Menschen, ganz gleichgültig, welcher Art, gleichermaßen imstande wären, nützliche Projekte auszuführen. Es war, wie wenn ein Schneider zum Beispiel praktische Möbelstücke angefertigt hätte – ohne die Dimensionen der Häuser, der Türen, der Zimmer in Betracht zu ziehen. So gründeten wir eine Pension. Mit dem Eifer, mit dem etwa ein Versessener die patentierte Anerkennung einer seiner Erfindungen betreibt, bemühte sich der Doktor Kiniower um unsere Konzession, die wir dazu benötigten. »Sie haben ja so viele Freunde!« sagte er zu mir. »Sie haben zwölf Zimmer im ganzen zu vermieten. Ihrer Frau Mutter bleiben zwei. Ihnen und Ihrer Frau vier. Sie brauchen nur noch ein Dienstmädchen, ein Telephon, acht Betten und Klingeln.« – Und ehe wir es uns noch versehen hatten, brachte er Dienstmädchen, Telephon, Installateure, gemietete Betten. Es galt auch, Mieter zu finden. Chojnicki, Steskal, Halasz, Grünberger, Dworak, Szechenyi, Hallersberg, Lichtenthal, Strohhofer: Sie waren alle sozusagen obdachlos geworden. Ich brachte sie in unsere Pension.
    Der einzige, der die Miete von vornherein bezahlte, war der Baron Hallersberg. Sohn eines bedeutenden Zuckerfabrikanten in Mähren, huldigte er dem in unserem Kreis durchaus fremden Luxus der Penibilität. Er borgte nicht, und er verlieh nichts. Tadellos gebürstet, gebügelt, akkurat lebte er zwischen uns, intim mit uns, geduldet von uns wegen seiner Sanftmut, seiner diskreten Manieren und seiner vollendeten Humorlosigkeit. »Unsere Fabrik hatte jetzt schwere Zeiten«, konnte er zum Beispiel sagen. Und gleich darauf begann er, mit Bleistift und Papier die Sorgen seines Vaters zu berechnen. Er erwartete auch von uns, daß wir besorgte Gesichter machten, und wir erwiesen ihm den Gefallen. »Ich muß mich einschränken«, pflegte er dann zu sagen.
    Nun, in unserer Pension schränkte er sich auch ein. Er bezahlte prompt und alles im voraus. Er hatte Angst vor Schulden, Rechnungen – »es häuft sich an«, liebte er zu sagen –, und uns alle schätzte er gering, weil wir es zuließen, daß es sich »anhäufe«. Dennoch beneidete er uns gleichzeitig um diese Fähigkeit, sich es »anhäufen« zu lassen. Am besten von uns allen konnte es Chojnicki. Ihn beneidete Hallersberg auch am meisten.
    Zu meiner Überraschung war meine Mutter über diese unsere »Pension« entzückt. Offenbar erheiterte es sie, daß Installateure in blauen Anzügen durch unsere Zimmer wimmelten, daß sie Glocken schrillen hörte und laute fröhliche Stimmen. Offenbar schien es ihr, daß sie ein neues Leben beginnen würde, von Anfang an, sozusagen ein Leben aufs neue. Mit munteren Schritten, mit einem heiteren Stock, ging sie durch die Zimmer, die drei Stockwerke unseres Hauses hinauf und hinunter. Ihre Stimme war laut und heiter. Ich hatte sie noch niemals so gesehen.
    An den Abenden schlief sie manchmal in ihrem Lehnstuhl ein. Der Stock lag zu ihren Füßen wie ein treuer Hund. Aber die »Pension marschierte« – wie Kiniower sagte.

XXX
    In unserm Hause schlief ich nun, an der Seite meiner Frau. Es erwies sich bald, daß sie einen ausgeprägten Sinn für die sogenannte Häuslichkeit besaß. Sie war geradezu von Ordner- und Sauberkeitswahn besessen, wie viele Frauen. Mit dieser verhängnisvollen Neigung verwandt war auch ihre Eifersucht. Damals erfuhr ich zum erstenmal, warum die Frauen Häuser und Wohnungen mehr lieben als ihre Männer. Sie bereiten also, die Frauen, die Nester für die Nachkommenschaft zuerst. Sie spinnen mit unbewußter Tücke den Mann in ein nicht zu entwirrendes Netz von kleinen, täglichen Pflichten ein, denen er nicht mehr entrinnen wird. In unserm Hause schlief ich nun, an der Seite meiner Frau. Mein Haus war's. Meine Frau
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