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Die Kapuzinergruft

Die Kapuzinergruft

Titel: Die Kapuzinergruft
Autoren: Joseph Roth
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Sohn geboren wurde. Chojnicki und alle Freunde, die in unserer Pension wohnten, erwarteten mich in meinem Zimmer im Parterre so aufgeregt, als wären sie selbst im Begriffe gewesen, Väter zu werden. Um vier Uhr morgens kam das Kind zur Welt. Meine Mutter kündigte es mir an.
    Es war mein Sohn, ein blutrotes, häßliches Lebewesen, mit viel zu großem Kopf und Gliedmaßen, die an Flossen erinnerten. Dieses Lebewesen schrie ohne Unterlaß. Im Nu gewann ich es lieb, dieses Lebewesen, meinen Lenden entsprossen, und sogar des billigen Stolzes konnte ich mich nicht erwehren, daß ich einen Sohn und keine Tochter gezeugt hatte. Ja, ich beugte mich, um besser zu sehen, über sein winziges Geschlecht, das aussah wie ein geringer roter Beistrich. Kein Zweifel: es war mein Sohn. Kein Zweifel: ich war sein Vater.
    Viele Millionen und Milliarden von Vätern hat es gegeben, seitdem die Welt besteht. Ich war einer unter den Milliarden. Aber in dem Augenblick, in dem ich meinen Sohn in die Arme nehmen durfte, erlebte ich einen fernen Abglanz jener unbegreiflich erhabenen Seligkeit, die den Schöpfer der Welt am sechsten Tag erfüllt haben mochte, als Er sein unvollkommenes Werk dennoch vollendet sah. Während ich das winzige, schreiende, häßliche und blutrote Ding in meinen Armen hielt, fühlte ich deutlich, welch eine Veränderung in mir vorging. So klein, so häßlich, so rötlich das Ding in meinen Armen auch war: von ihm strömte eine unsagbare Kraft aus. Es war mehr: es war, als hätte sich in diesem weichen, warmen Körperchen all meine Kraft aufgespeichert und als hielte ich mich selbst in den Händen und das Beste meiner selbst.
    Die Mütterlichkeit der Frauen ist ohne Grenzen. Meine Mutter nahm ihren eben angekommenen Enkel so auf, als hätte sie ihn selbst ausgetragen, und auf Elisabeth übertrug sie den Rest ihrer Liebesfähigkeit, der ihr noch verblieben war. Erst da sie einen Sohn von mir, von meinen Lenden bekommen hatte, war sie ihre Tochter geworden. In Wirklichkeit war Elisabeth niemals mehr als die Mutter ihres Enkels. Es war, als ob sie nur diesen Enkel abgewartet hätte, um sich zum Sterben bereitzumachen. Sie begann zu sterben, darf ich wohl sagen, langsam, wie die Zeit ihres Lebens gewesen war. Eines Nachmittags erschien sie nicht mehr in unserm Zimmer im Parterre. Eines unserer beiden Dienstmädchen berichtete, meine Mutter hätte Kopfweh. Es war kein Kopfweh: Meine Mutter hatte der Schlag getroffen. Sie war rechtsseitig gelähmt.
    Also blieb sie, jahrelang, uns allen eine geliebte, treu behütete Last. Dennoch freute ich mich noch jeden Tag, wenn ich sie des Morgens am Leben traf. Es war eine alte Frau, wie leicht konnte sie sterben!
    Meinen Sohn, ihren Enkel, brachte man ihr jeden Tag. Sie lallte nur: »Kleiner«. Sie war rechtsseitig gelähmt.

XXXII
    Eine treu behütete, geliebte Last war mir meine Mutter. Ich hatte mein Lebtag niemals eine Neigung für irgendeinen Beruf gefühlt, jetzt hatte ich endlich zwei Berufe: Ich war ein Sohn, und ich war ein Vater. Stundenlang saß ich neben meiner Mutter. Wir mußten einen Krankenwärter aufnehmen, die alte Frau war schwer von Gewicht. Man mußte sie jeden Tag ins Zimmer tragen, zum Tisch. Sie hinzusetzen bedeutete schon Arbeit. Manchmal verlangte sie auch von mir, durch die Zimmer gerollt zu werden. Sie wollte sehen und hören. Seitdem sie krank war, schien es ihr, daß sie vieles, daß sie alles versäumte. Ihr rechtes Auge war halb geschlossen. Wenn sie den Mund auftat, war es, als trüge sie eine eiserne Klammer um die rechte Lippenhälfte. Sie konnte übrigens nur einzelne Worte hervorbringen, zumeist Hauptwörter. Manchmal sah es fast so aus, als hütete sie eifersüchtig ihren Wortschatz.
    Sobald ich meine Mutter verlassen hatte, ging ich in das Zimmer meines Sohnes. Elisabeth, in den ersten Monaten eine hingebungsvolle Mutter, entfernte sich allmählich von unserem Sohn. Franz Joseph Eugen hatte ich ihn getauft, für mich und Elisabeth nannte ich ihn Geni. Elisabeth begann mit der Zeit, oft und ohne Grund das Haus zu verlassen. Ich wußte nicht, wohin sie ging – und ich fragte sie auch nicht danach. Sie ging, mochte sie gehen! Ich fühlte mich sogar wohl, wenn ich allein, ohne sie, mit meinem Buben blieb. – »Geni!« rief ich – und sein rundes braunes Gesicht leuchtete. Ich wurde immer eifersüchtiger. Es genügte mir keineswegs, daß ich ihn gezeugt hatte, am liebsten hätte ich gewünscht, ich hätte ihn auch ausgetragen und geboren. Er kroch
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