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Die Juedin von Toledo

Die Juedin von Toledo

Titel: Die Juedin von Toledo
Autoren: Lion Feuchtwanger
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scherzte er plump: »Wenigstens war der Spruch gut, den ich dir damals auf so strenge Art beigebracht habe.« Der andere antwortete: »Wer ich?« Alfonsos unmutige Verwunderung stieg. Hatten sie es dem Menschen nicht gesagt, zu wem er geführt wurde? Und hatte er’s nicht wissen wollen? »Ich, der König«, sagte er. Der Blinde, unerstaunt und unerregt, sagte: »Ich habe deine Stimme nicht erkannt. Es geht von dir nichts aus, was ich erkenne.« Alfonso fragte: »Hab ich dir unrecht getan, Diego, damals?« Der Blinde antwortete ruhig: »Es war Gott, der dich tun hieß, was du tatest. Aber auch der Schlaf, der damals über mich kam, war von Gott gesandt. Alarcos war eine Stätte harter Prüfung, für dich nicht minder als für mich. Es war jener Sieg von Alarcos, der dich verleitet hat, die zweite, übermütige Schlacht zu schlagen. Mir hat das Leid Segen gebracht, am Ende. Ich habe den Frieden gefunden.« Und,scheinbar ohne Zusammenhang, fuhr er fort: »Ich höre, Alarcos steht nicht mehr.«
    Erst glaubte Alfonso, der Mann wolle sich im Schutze seiner Heiligkeit über ihn lustig machen. Aber die Worte kamen seltsam gleichmäßig von den Lippen des Blinden, sie kamen wie von einem Dritten, der sie beide aus hoher Ferne betrachtete, sie waren nicht bestimmt, ihn zu kränken.
    »Ich habe gebetet«, sagte Diego, »daß das Unglück auch dir zum Heil ausschlage, Herr König.« Und: »Laß mich dich sehen«, verlangte er, die Hände ausstreckend. Alfonso begriff, was er wollte, er trat nah an ihn heran, und der Blinde betastete sein Gesicht. Der König spürte mit Unbehagen die knochigen Hände an seiner Stirn und seinen Wangen drücken und fingern. Alles an dem Mann war ihm widerwärtig: wie er aussah, wie er sprach, wie er roch. Es war in Wahrheit eine Prüfung, der er sich unterzog. Und war der Mann nicht doch ein Joglar, ein Jahrmarktsgaukler?
    Diego sagte: »Sei getrost. Der Herr hat dir die Kraft gegeben, in Demut zu warten. Quien no cae, se no levanta – Wer nicht fällt, steht nicht auf. Vielleicht wirst du lange warten müssen, aber du hast die Kraft.«
    Alfonso begleitete ihn zur Tür und überließ ihn denen, die ihn führten.
    Es kam der Tag, an dem man die Leichen des Jehuda Ibn Esra und seiner Tochter ausgrub, um sie in den Friedhof der Judería zu überführen. Es war ein Tag im frühen Herbst, warm, gewitterig; der Stadtfelsen von Toledo lag dunkel, in schwerem, schwärzlichgrünem Grau.
    Sie hüllten Jehuda und Raquel in weißes Totenleinen. Sie legten sie in Särge, die einfach waren, wie der Brauch es verlangte; es war aber fette, schwarze, krümelnde Erde hineingestreut, Erde aus Zion. Auf Zions Erde also lag jetzt das Haupt des Jehuda, der gedichtet und getrachtet hatte zur größeren Ehre seines Volkes, und das Haupt der Raquel, die geträumt hatte vom Messias.
    Alle jüdischen Gemeinden Hispaniens hatten Abordnungen gesandt, auch aus der Provence und aus Francien waren viele gekommen, und einige sogar aus Deutschland.
    Die acht angesehensten Männer der Aljama von Toledo hoben die Särge auf ihre Schultern und trugen sie über die Kieswege der Galiana zwischen den Bäumen und Beeten hindurch zum Haupttor. Dort, wo die Inschrift Alafia grüßte, standen andere bereit, die Särge aufzunehmen. Sie trugen sie eine kurze Strecke, dann warteten neue Träger; denn Zahllose hatten sich um die Ehre beworben, die Toten zu Grabe zu tragen.
    So, von Schulter zu Schulter, zogen die Särge die heiße Straße entlang zur Alcantara, zu der Brücke, die über den Tajo führte.
    Eine kurze Strecke trug auch der junge Don Benjamín einen der beiden Särge, den zweiten, den Sarg Doña Raquels. Es war eine leichte Last, aber der junge Mensch hatte Mühe, die Beine zu heben; dicht und dumpf, leibhaft geradezu engte der Kummer ihn ein.
    Er suchte die Enge zu durchstoßen mit Gedanken.
    Dachte daran, wie nun die sechstausend fränkischen Flüchtlinge, die Jehuda gegen so viel wüsten Widerstand ins Land gerufen hatte, aus lästigen Eindringlingen zu hocherwünschten Mitbürgern geworden waren. Es war alles anders gekommen, besser, als er, Benjamín, erwartet hatte. Halb ungläubig hatte er’s mitangesehen, wie sein Onkel Ephraim nach Sevilla gesandt worden war, wie er den Frieden bewirkt hatte und wie er nun Maßnahmen traf, ihn zu wahren. Das Werk Jehudas bestand, es ging weiter. Und der König duldete es nicht nur, der König förderte es. Aber wieviel Tod und Elend war nötig gewesen, ehe dieser Ritter zur Vernunft
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