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Die Judas-Papiere

Die Judas-Papiere

Titel: Die Judas-Papiere
Autoren: Rainer M. Schroeder
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antwortete Byron knapp und tauschte nur wider strebend einen kurzen Händedruck mit diesem jugendlichen Flegel, der sich auf der gegenüberliegenden Bank so breit hinfläzte, als wür de nicht gleich noch ein dritter Fahrgast zusteigen.
    Der schmächtige Mann mit der Nickelbrille und dem schmalen Schnurrbart gesellte sich im nächsten Moment zu ihnen. Er nickte Byron kurz zu und tippte dann mit dem Ende seines wenig ansehnli chen Spazierstockes leicht gegen die übergeschlagenen Beine des Lockenschopfes, die fast die ganze Länge der vorderen Sitzbank in Anspruch nahmen.
    »Nichts für ungut, Mister McLean. Aber wenn Sie die Güte hätten, eine etwas platzsparendere Haltung einzunehmen, wäre ich Ihnen überaus dankbar«, sagte er mit leicht sarkastischem Tonfall, wäh rend der gepolsterte Kutschenschlag hinter ihm zufiel und der Kut scher sich hinauf auf seinen erhöhten Sitz schwang.
    Alistair McLean lachte unbekümmert auf. »Schätze, das lässt sich machen, Mister Slade«, sagte er, zog seine langen Beine zurück und setzte sich aufrecht hin.
    Im nächsten Moment hielt er ein Kartenspiel wie hingezaubert in der linken Hand und mischte, offensichtlich ganz in Gedanken, die Karten – und zwar mit nur einer Hand!
    »Sagen Sie, kennen Sie Lord Pembroke, Mister Bourke?«, fragte er, während seine Finger die Karten so schnell aufblätterten und wieder in sich zusammenfallen ließen, dass das Auge den Bewegungen kaum zu folgen vermochte. »Und sind Sie vielleicht schon einmal zu ihm auf sein Schloss eingeladen worden? Muss ja ein Mordskasten sein, den sich die Pembrokes hier an der Küste schon vor etlichen Generationen hingesetzt haben!«
    Byron fand die Fingerfertigkeit dieses jungen Mannes so erstaun lich, wie er dessen Direktheit und nachlässige Wortwahl als vulgär und ungehörig empfand, und er folgerte, dass das Kartenspiel wohl zu den Leidenschaften dieses Mister McLean zählte – was ihn in sei nen Augen nicht gerade sympathischer werden ließ.
    Die Kutsche ruckte an. Die vier Rotfüchse stemmten sich unter dem anfeuernden Zuruf des Kutschers ins Geschirr und die Equipage nahm rasch Geschwindigkeit auf.
    »Nein, ich bin Lord Pembroke noch nicht begegnet, was auch Ihre zweite Frage beantworten dürfte«, sagte Byron zugeknöpft, griff wieder zu seinem Buch und schlug es auf, um diesem aufdringlichen Burschen zu verstehen zu geben, dass er an einem weiteren Ge spräch mit ihm nicht interessiert war.
    Was Alistair McLean jedoch nicht zum Schweigen brachte. »Mhm, dann dürften wir wohl alle drei gespannt sein, was uns auf Pembroke Manor erwartet«, fuhr er aufgekratzt fort. »Ich jedenfalls habe nicht die blasseste Ahnung, womit ich die Einladung dieses stinkreichen Nobelmannes verdient habe. Nun ja, letztlich soll es mir gleich sein. Wer mir mit seiner Einladung unter anderem gleich auch noch fan tastische fünfzig Pfund als Ausgleich für die Fahrtkosten mit schickt, obwohl ein Zugticket schon für ein paar Shilling zu haben ist, dessen Wochenendeinladung wird mir stets höchst willkom men sein.«
    Byron besaß ein feines Gehör für Zwischentöne und er nahm es da her auch sehr wohl zur Kenntnis, dass Alistair McLean mit seiner Ein ladung unter anderem die großzügige Zuwendung von fünfzig Pfund erhalten hatte, gab jedoch keinen Kommentar dazu ab. Dasselbe galt auch für Horatio Slade, der weiterhin stumm in der Betrachtung der Landschaft verharrte, obwohl es dort draußen nichts Ungewöhnli ches zu entdecken gab. Es sei denn, man besaß eine ausgeprägte Schwäche für weidendes Vieh, kleine Bauerngehöfte und den sich wiederholenden Anblick von landwirtschaftlich genutzten Flächen unter einem trist grauen, dunkler werdenden Novemberhimmel.
    Für eine kurze Weile waren nur der gleichmäßige Hufschlag der vier prächtigen Pferde und das Rattern der Kutschräder zu vernehmen, während die herbstliche Landschaft aus Feldern, Weiden und kleine ren Waldstücken zu beiden Seiten der Equipage vorbeiflog. Aus den Niederungen stiegen hier und da die ersten Nebelschleier auf, die sich im kahlen Geäst der Sträucher zu verfangen schienen. Und im allmählich schwächer werdenden Licht des scheidenden Tages wirkten die sanft gerundeten Hügel wie die Wellen einer leicht bewegten See.
    Es war Alistair McLean, der dieses Schweigen nach wenigen Minu ten brach. »Scheint ja eine ungemein spannende Lektüre zu sein, wenn Sie selbst bei diesem schlechten Licht nicht von dem Buch las sen können, Mister Bourke«, sagte
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