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Die Jagd beginnt

Die Jagd beginnt

Titel: Die Jagd beginnt
Autoren: Robert Jordan
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mit Mühe vermeiden können, sich noch mehr solcher Verzierungen zuzuziehen. Bei Lan zeigte sich keine Spur irgendeines Striemens.
    Wie er es gelernt hatte, formte Rand eine einzelne Flamme in seinem Geist und konzentrierte sich darauf, versuchte, alle Gefühle und alle Leidenschaft hineinzufüllen und in seinem Inneren einen leeren Raum, ein Nichts zu erzeugen. Selbst jeder Gedanke sollte verbannt werden. Die Leere entstand. Wie nur zu oft in letzter Zeit war es keine perfekte Leere; die Flamme zeigte sich noch immer, oder zumindest schickte irgendein Lichtschimmer Wellen durch die Finsternis. Aber es reichte gerade so. Der kühle Friede des Nichts breitete sich über ihn aus, und er wurde eins mit dem Übungsschwert, mit den glatten Steinplatten unter seinen Stiefeln, selbst mit Lan. Alles war eins, und er bewegte sich ohne nachzudenken in einem Rhythmus, der Schritt für Schritt und Bewegung auf Bewegung den Behüter kopierte.
    Der Wind erhob sich erneut und trug Glockengeläut von der Stadt herauf. Irgendjemand feiert unentwegt, dass der Frühling endlich da ist. Der von außen einströmende Gedanke flatterte auf Lichtwellen durch das Nichts, störte die Leere, und als könne der Behüter Rands Gedanken lesen, wirbelte das Übungsschwert in Lans Hand auf Rand zu.
    Eine lange Minute erfüllte das schnelle Klack-Klack-Klack der gebündelten Stäbe die Plattform auf dem Turm. Rand versuchte erst gar nicht, den anderen anzugreifen; er hatte alle Hände voll damit zu tun, die Streiche des Behüters abzufangen. Damit beschäftigt, Lans Hiebe im letzten Moment abzuwehren, ließ er sich zurückdrängen. Lans Gesichtsausdruck änderte sich nie. Das Übungsschwert schien in seinen Händen zum Leben zu erwachen. Plötzlich verwandelte sich der weit schwingende Hieb des Behüters mitten in der Bewegung und wurde zu einem Stoß. Überrascht trat Rand zurück, wobei er sich schon bei dem Gedanken an den Schlag duckte, der ihn nun treffen würde. Diesmal konnte er ihn nicht mehr abhalten.
    Der Wind heulte über den Turm … und schnappte zu. Es war, als sei die Luft plötzlich zähflüssig geworden. Sie hielt ihn wie in einem Kokon fest. Schob ihn nach vorn. Die Zeit und alle Bewegungen verlangsamten sich. Erschrocken beobachtete er, wie Lans Übungsschwert auf seine Brust zielte. Der Aufschlag hatte nichts Langsames oder Sanftes an sich. Seine Rippen wurden wie durch einen Hammerschlag erschüttert. Er keuchte, aber der Wind ließ es nicht zu, dass er nachgab; stattdessen trieb er ihn vorwärts. Die Stäbe von Lans Übungsschwert bebten und bogen sich – ganz langsam, wie es Rand erschien –, und zerbrachen dann. Die scharfen, abgebrochenen Spitzen stießen auf sein Herz zu; unregelmäßige Splitter durchbohrten seine Haut. Schmerz durchfuhr seinen Körper. Seine ganze Haut schien aufgeschlitzt zu sein. Er brannte, als sei die Sonne aufgeflammt, um ihn wie ein Stück Speck in der Pfanne zu braten.
    Mit einem Aufschrei warf er sich zurück und stolperte rückwärts gegen die Steinmauer. Mit zitternder Hand berührte er die Schnittwunden auf seiner Brust und hielt sich die blutigen Finger ungläubig vor die grauen Augen.
    »Und was war das für eine Art von Parade, Schafhirte?«, schimpfte Lan. »Du solltest es jetzt besser können, es sei denn, du hast alles vergessen, was ich dir beizubringen versucht habe. Wie schlimm bist du …?« Er brach ab, als Rand zu ihm aufblickte.
    »Der Wind.« Rands Mund war ausgetrocknet. »Er … er hat mich vorgeschoben! Er … Er war fest wie eine Wand!«
    Der Behüter blickte ihn schweigend an und streckte dann die Hand zu ihm aus. Rand nahm sie und ließ sich auf die Beine ziehen.
    »Seltsame Dinge geschehen manchmal so nahe an der Fäule«, sagte Lan schließlich, doch so gleichmütig die Worte auch klangen, so besorgt war doch sein Unterton. Und das allein war schon seltsam genug. Behüter, diese halb legendären Kämpfer, die den Aes Sedai dienten, zeigten nur selten Gefühle, und bei Lan geschah das noch seltener als bei Behütern üblich. Er warf das abgebrochene Übungsschwert beiseite und lehnte sich an die Wand, wo ihre Kampfschwerter lagen, damit sie ihnen beim Üben nicht im Weg waren.
    »Das hatte nichts damit zu tun«, protestierte Rand. Er setzte sich neben den anderen Mann und lehnte sich mit dem Rücken an den Stein. So lag die Oberkante der Mauer über Kopfhöhe und schützte ihn ein wenig vor dem Wind. Falls es überhaupt ein Wind war. Kein Wind hatte sich je so … fest
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